Öffentlicher Verkehr: Nicht das Naheliegende übersehen

Das Klimakabinett hat getagt, das Klimapaket ist beschlossen. Doch was heißt das für den Verkehr und die viel beschworene Wende dort? Auf jeden Fall eine erhebliche Veränderung der heutigen Systeme in Stadt und Land, meint Ingo Wortmann, Präsident des Verbandes deutscher Verkehrsunternehmen.

Die Verkehrswende ist in aller Munde. Sie ist dabei kein Selbstzweck, denn der Verkehrsbereich ist maßgeblich an der Produktion des klimaschädlichen CO2 beteiligt. Die letzten Wahlen und Umfragen zeigen deutlich, dass die Menschen von keiner existenziellen Frage stärker berührt sind als von derjenigen, bei der es um den Klimaschutz geht. Der Klimawandel findet statt und er bedroht unsere Lebensgrundlagen.

Im Unterschied zu anderen Wirtschaftszweigen – wie zum Beispiel im Energiesektor oder bei der Industrie – ist beim Verkehr bislang keine Trendwende bei der Verminderung der Treibhausgase festzustellen. Zudem: Die Luft in unseren Kommunen ist längst nicht so sauber, wie sie sein könnte, sie ist hier und da sogar gesundheitsgefährdend. Viele Städte und Gemeinden überschreiten die Stickoxid-Grenzwerte, vor allem infolge der massenhaften Nutzung von Pkw-Verbrennungsmotoren.

Millionen von Pendlern kommen täglich unnötig gestresst vom zugestauten Arbeitsweg zum Dienst – und abends nach Hause. Die Automobilindustrie liefert bislang keine schlüssigen Lösungen, sieht man von Software-Updates ab. Immer mehr Bürgern wird außerdem bewusst, dass der öffentliche Raum – gleichzeitig Gemeindegut wie Gemeingut – sehr stark auf den Pkw-Verkehr und das Parken ausgerichtet ist – und stellen die Verteilungsfrage. Für uns stehen mithin große Herausforderungen an: Sie heißen Dekarbonisierung, Digitalisierung und Ausbau des Angebotes sowie der Infrastruktur für den öffentlichen Verkehr. Gesucht werden dabei Lösungen, die langfristig tragen.

Denn in diesen Tagen steht eine Fülle von mehr oder weniger fragwürdigen Vorschlägen in Rede: Preissenkungen für Fahrscheine („365-Euro-Ticket“, „Kostenloser Nahverkehr“) hier, die Hoffnung auf Elektro-Pkw und Flugtaxis dort. Dabei wird das Naheliegende häufig übersehen: Wir müssen zunächst einmal die Kapazitäten des öffentlichen Personenverkehrs ausbauen und mit flexibleren Bedienformen dort ergänzen, wo er bislang nicht (mehr) in der nötigen Qualität vorhanden ist.

Dieses Ziel ist nicht neu, es wird genau genommen bereits seit Jahrzehnten in politischen Sonntagsreden formuliert. Jetzt, wo sich bei den Bürgern die Gewissheit verfestigt, dass es in Sachen Klimaschutz und Verkehr so nicht mehr weitergehen kann, erkennen auch die politischen Entscheidungsträger, dass die Zeit des Handelns gekommen ist.

VDV: Keine populistischen Ideen

Wichtig ist, dass dabei die richtigen Projekte identifiziert und umgesetzt werden. Der VDV wird dabei als Branchenverband auch künftig der Bundesregierung vernünftige Maßnahmen vorschlagen und nicht populistischen Ideen hinterherlaufen.

Das Klimakabinett hat nun seine Eckpunkte vorgelegt. Und schon auf den ersten Blick wird klar: Jetzt kommt es auf die konkrete Ausgestaltung dieser Beschlüsse an, gerade im Verkehrssektor, dem CO2-Sorgenkind. Hier ist es von zentraler Bedeutung, dass bei jeder Maßnahme die tatsächliche Wirkung in Bezug auf die beabsichtigte Treibhausgas-Minderung regelmäßig und transparent geprüft wird. Sollten sich dabei Fehlentwicklungen zeigen, die ein Erreichen der Einsparungsziele gefährden, muss konsequent nachgesteuert werden.

Gut ist: In das Bahnsystem soll erheblich investiert werden. Doch fehlt es für die Schiene – anders, als bei der Straße – an verbindlichen Summen für den angekündigten Hochlauf. Die Erhöhung der Mittel des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes auf zwei Milliarden Euro jährlich ist ein Meilenstein für die Kommunen und ihren Nahverkehr. Allerdings benötigen die Verkehrsunternehmen diese Mittel bereits ab 2021, wenn schon im Jahr 2030 die Klimaschutzziele erreicht werden sollen. Zudem ist angesichts des Erneuerungsbedarfs in hoher einstelliger Milliardenhöhe die Öffnung des Gesetzes auch für die Grunderneuerung bei den bestehenden Tram-, U- und Stadtbahnstrecken notwendig.

Folgende Punkte müssen Priorität bei der Umsetzung haben:

  1. Die Verkehrswende wird zurzeit oft anhand der Probleme in Ballungsräumen und Großstädten diskutiert. Doch in Deutschland lebt die Mehrheit der Bevölkerung außerhalb dieser Zentren und wir werden die Verkehrswende daher ohne die Gemeinden und ländlichen Räume nicht schaffen. Digitalisierung, neue Mobilitätsangebote und stärkere Vernetzung müssen möglichst flächendeckend umgesetzt werden.

  2. Wir sind in Deutschland viel zu langsam beim Planen und Bauen: Nur wer schnell und dabei gründlich plant und Umweltstandards einhält, kann Verkehrsinfrastruktur zügig aufbauen und Klima- und Luftreinheitsziele erreichen. Wir brauchen einen gesetzlich vernünftigen Rahmen zur Planungsbeschleunigung unserer Bauvorhaben.

  3. Wir brauchen qualifiziertes Personal. Der Staat muss die Zahl der vorhandenen Stellen in den Plan- und Genehmigungsbehörden erhöhen und freie Stellen besetzen, um den schnellen Ausbau der Infrastruktur und des Angebotes nicht zu gefährden. Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz muss in der Praxis unbürokratisch umgesetzt werden können. Denn allein die Bus- und Bahnunternehmen benötigen bis 2025 rund 50 000 neue Mitarbeiter, um die wachsenden Anforderungen erfüllen zu können.

  4. Klimaschonende Mobilität setzt eine erhebliche Veränderung der heutigen Systeme in Stadt und Land voraus. Förderungen müssen technologieoffen sein und deutlich erhöht werden. Umweltfreundliche Verkehre müssen entlastet und so bis in die Gemeinden ausgebaut werden können.

  5. Die Verkehrswende schafft Arbeitsplätze: Neue digitale Techniken, neue Antriebstechnologien – der Industriestandort und die führende Exportnation Deutschland müssen diesen Wandel endlich als Chance begreifen und auf dieser Basis Innovationen und Produkte „Made in Germany“ weltweit in die Märkte bringen. Wichtiger sind dabei jedoch vor allem Qualitätsprodukte statt Software-Updates.

Wenn wir diese Punkte mit Mut und Kraft angehen und die Mittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz auch für die Grunderneuerung der Nahverkehrsstrukturen in den Gemeinden anwenden können, ist die Verkehrswende bis zum Jahr 2030 möglich. Jetzt sind die politischen Entscheider im Bund und in den Ländern gefordert, das Klimapaket sinnvoll auszugestalten.

Ingo Wortmann

Der Autor
Ingo Wortmann ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG), Geschäftsführer für den Bereich Mobilität der Stadtwerke München sowie Präsident des Verbands deutscher Verkehrsunternehmen (VDV)