Landkreis Coesfeld holt alles aus dem Bioabfall heraus

Eine konsequente Nutzung der energetischen und stofflichen Potenziale von Bioabfall: Dies macht seit Februar 2014 der Kreis Coesfeld im Münsterland vor. Er beweist damit auch, dass Klimaschutz und Wirtschaftlichkeit keine Gegensätze sind. Denn die Gebühren wurden signifikant reduziert.

Im Kreis Coesfeld (rund 219.000 Einwohner, Nordrhein-Westfalen) ist das Sammelaufkommen von Bio- und Grünabfällen traditionell überdurchschnittlich hoch: Jeder Einwohner entsorgt etwa 170 Kilogramm Bioabfall und 38 Kilogramm Grünabfall im Jahr, wobei zu Letzterem auch Mäh- und Schnittgut von öffentlichen Grünflächen sowie Landschaftspflegematerial zählen. Das führt zu einer Gesamtmenge von rund 45.000 Tonnen biologischer Abfälle jährlich. Bis zum Beginn der 2000er-Jahre wurden diese konventionell kompostiert.

Als seinerzeit der Kompostdienstleistungsvertrag des Kreises auslief, war der Zeitpunkt für eine Neuausrichtung der Bioabfallbehandlung gekommen. Bio- und Grünabfälle sollten künftig nicht mehr nur stofflich, sondern zusätzlich auch energetisch verwertet werden. Was folgte, war ein Beschluss des Kreises gemeinsam mit den Wirtschaftsbetrieben, der Kompostierung eine Bioabfallvergärung vorzuschalten.

Die entsprechende Teilstromvergärungsanlage wurde von der Firma Reterra auf dem Gelände des Kompostwerks in Coesfeld-Höven errichtet. Dort werden seit der Inbetriebnahme vor rund vier Jahren per Trockenvergärung bis zu 600 Kubikmeter Biogas pro Stunde gewonnen. Die für die Fermentation des Substrats benötigte Wärmeenergie liefert eine Biomasseheizung. Sie wird mit der aus den Grünabfällen ausgesiebten holzreichen Grobfraktion befeuert, was bereits für diesen ersten Schritt der Bioabfallnutzung eine autarke, klimaneutrale Energieversorgung bedeutet.

Das produzierte Gas wird in der von der Gesellschaft des Kreises Coesfeld zur Förderung regenerativer Energien (GFC) betriebenen Biogasaufbereitungsanlage durch ein physikalisch-chemisches Absorptionsverfahren der Schwelm Anlagentechnik von CO2 gereinigt und auf einen Methangehalt von rund annähernd 100 Prozent angereichert. Die Qualität ist im Hinblick auf den Energiegehalt und die brenntechnischen Eigenschaften von fossilen Erdgasen nicht zu unterscheiden.

Die nach der Aufbereitung zur Verfügung stehende Menge von bis zu 350 Kubikmeter Bioerdgas pro Stunde übernimmt Thyssengas Dortmund als Erdgasnetzbetreiber und speist sie in das Erdgastransportnetz ein. Mit der Bioenergieausbeute zwischen 17 und 23 Millionen Kilowattstunden pro Jahr können bis zu 1400 Haushalte mit Wärmeenergie versorgt werden. Zudem wird durch die energetische Nutzung des Bioabfalls der Ausstoß von hochgerechnet jährlich rund 5000 Tonnen Kohlendioxid vermieden. Zwar ist die Verbrennung von Biomasse beziehungsweise Biogas nicht grundsätzlich CO2-frei.

Kreis Coesfeld investiert 2,8 Millionen Euro

Jedoch wurde der bei der Verbrennung freigesetzte Kohlenstoff Monate oder gar Jahre zuvor von den Pflanzen im Zuge ihres Wachstums aus der Atmosphäre aufgenommen. Das heißt, dass die Biomasseverbrennung den CO2-Gehalt in der Atmosphäre kaum langfristig beeinflusst. Hinzu kommt, dass die GFC für den Betrieb der Biogasaufbereitung Deponiegas nutzt, also eine regenerative Energiequelle. Für die gesamte Biogasaufbereitungsanlage hat der Kreis Coesfeld über die GFC 2,8 Millionen Euro investiert.

Neben der energetischen Nutzung der Bio- und Grünabfälle ist die stoffliche Behandlung eine tragende Säule des Bioabfallverwertungsprojektes. Dafür wurde das gesamte Kompostwerk des Kreises als moderne Tunnelkompostierung neu aufgebaut. So ist eine Kaskadennutzung der Bioabfälle gegeben – eine besonders effiziente Form des Recyclings, bei der die Nährstoffe erhalten bleiben. Dadurch kann der beim Gärprozess übrig bleibende trockene und flüssige Gärrest als Düngemittel genutzt werden.

Dazu wird das trockene Gärprodukt zusammen mit Grünabfall und dem Siebüberlauf aus der Kompostaufbereitung sowie vorverkleinertem Bioabfall verrottet, anschließend aufbereitet und verkauft. In die Teilstromvergärungsanlage sowie den Umbau der Kompostieranlage hat Reterra rund zwölf Millionen Euro investiert.

Da der Kreis Coesfeld nicht die gesamte Energie aus der Bioabfallverwertung selbst nutzen kann, vertreibt er das Gas über den Münchner Händler BMP Greengas. Dieser nimmt die komplette eingespeiste Menge ab und bietet sie unter anderem Stadtwerken, Betreibern von Blockheizkraftwerken und Gasnetzbetreibern an. „Unser Gas kommt auf dem Markt gut an, da es aufgrund seiner Nachhaltigkeit das Gütesiegel ‚Grünes Gas´ vom Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches trägt – in der höchsten Zertifizierungsstufe“, sagt GFC-Geschäftsführer Stefan Bölte.

Nicht nur für das Klima lohnt sich das Bioabfallverwertungsprojekt. Auch für die rund 220.000 Einwohner des Kreises Coesfeld bringt es Vorteile mit sich: Sie profitieren von niedrigeren Bioabfallgebühren. Der Grund: Durch den Verkauf des Rohgases an die GFC erzielt die Firma Reterra – neben der Kompostierung – zusätzliche Einnahmen. Dadurch kann sie die Bioabfallverwertung günstiger anbieten. Als früher noch lediglich kompostiert wurde, lagen die Kosten für die Behandlung des Bioabfalls bei rund 95 Euro pro Tonne. Heute sind es nur noch rund 65 Euro.

Heinrich Dornbusch

Der Autor
Dr. Heinrich Dornbusch ist Geschäftsführer der Klimaexpo NRW mit Sitz in Gelsenkirchen

Info: Spezifische Faktoren sind entscheidend

Im Kreis Coesfeld legte eine Machbarkeitsstudie den Grundstein für das Bioabfallprojekt. Dabei wurde auch die Möglichkeit der Verstromung des Biogases in einem Blockheizkraftwerk betrachtet. Diese erwies sich als nicht wirtschaftlich. Denn die motorische Nutzung gewinnt aus dem Verfahren lediglich etwa 40 Prozent elektrische Energie, der Rest ist Wärme. Im konkreten Fall hätte diese aufgrund einer fehlenden Wärmesenke in der Umgebung des Kraftwerks nicht in Gänze genutzt werden können. Eins zu eins lassen sich die Coesfelder Erkenntnisse auf andere Vorhaben allerdings nicht übertragen. Denn es sind stets die spezifischen Standortfaktoren zu berücksichtigen, also vorhandene Anlagen, die Anlagenauslastung sowie unter anderem auch die Verwendungsmöglichkeiten von Abwärme.