Energieträger Wasserstoff: Vorreiter Nordfriesland

Der Druck auf Städte und Gemeinden, ihre Flotten klimafreundlicher zu gestalten, wird weiter steigen. Wasserstoff aus erneuerbaren Energien kann hier eine entscheidende Rolle spielen. Im Projekt „eFarm“ in Nordfriesland wird die Produktion des grünen Treibstoffs und seine Nutzung im Verkehr getestet.

Mit ihren vielen Windrädern ist die Region Nordfriesland zu einem der Top-Standorte für die Produktion erneuerbarer Energien in Deutschland geworden. Die Situation ist für die Betreiber komfortabel: Geförderte Anlagen erhalten eine Vergütung, die aus der EEG-Umlage finanziert und von allen Stromverbrauchern getragen wird. Die Vergütung wird auch fällig, wenn der Verbraucher gerade lokal nicht nachfragt oder die Netze ausgelastet sind und deshalb gar kein Strom produziert wird.

Aber in den kommenden Jahren fallen die Windräder nach und nach aus der Förderung durch die EEG-Umlage heraus. Um einen Rückbau der Anlagen und damit eine Verlangsamung des Ausbaus der erneuerbaren Energien zu verhindern, müssen neue Nutzungskonzepte für den produzierten Windstrom entwickelt werden. Ein Szenario wird jetzt in Nordfriesland erprobt. Das bisher größte grüne Wasserstoff-Mobilitätsprojekt „eFarm“ startet 2019 mit der Produktion von Wasserstoff zur Nutzung im Verkehr. Das Vorzeige-Projekt wird im Rahmen des Nationalen Innovationsprogramms Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NIP) mit acht Millionen Euro durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur gefördert (BMVI). Die Umsetzung des Förderprogramms wird von der Nationalen Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NOW) koordiniert.

Das von der GP-Joule-Gruppe initiierte Unternehmen „eFarming“ wird in Nordfriesland ein modular erweiterbares Wasserstofferzeugungs- und -vertriebsnetz aufbauen und betreiben. Für die Produktion des grünen Wasserstoffs aus Windkraft werden bis Ende 2019 fünf PEM-Elektrolyseure (je 225 kW) an geeigneten Standorten installiert – nah an den Windkraftanlagen und in der Nähe von Wärmenetzen. Der Wasserstoff wird dann in mobile Speichercontainer abgefüllt und per Lkw zu zwei Wasserstofftankstellen in Husum und Niebüll transportiert.

Zeitgleich werden bis 2020 neben fünf Brennstoffzellen-Pkw auch zwei Brennstoffzellenbusse angeschafft und im Linienverkehr im Kreis Nordfriesland eingesetzt. Damit ist von Anfang an die kontinuierliche Abnahme eines Teils des produzierten Wasserstoffs garantiert. Zudem haben sich über 60 Privatpersonen und Unternehmer aus der Region dazu bekannt, Brennstoffzellenfahrzeuge anzuschaffen und den Wasserstoff vor Ort zu beziehen. Die bei der Produktion anfallende Wärme wird zur lokalen Wärmeversorgung beitragen. Das Projekt setzt auf die Versorgung mit 100 Prozent grünem, regional erzeugtem Wasserstoff und erprobt damit eine Alternative zum Netzausbau.

Zahl der Wasserstofftankstellen wächst

In Deutschland sind derzeit 60 Wasserstofftankstellen für die Betankung von Brennstoffzellen-Pkw in Betrieb, Ende 2019 sollen es 100 sein. Die Tankstellen decken bundesweit die Metropolen ab und sorgen zunehmend auch für eine Versorgung der Korridorverbindungen. Bereits heute ist damit jeder Ort in Deutschland mit einem Brennstoffzellen-Pkw erreichbar. Hinzu kommen eine Reihe von Tankstellen für die Betankung von Bussen, die meist als Betriebshoflösungen realisiert werden.

Die Mehrheit der öffentlichen Tankstellen wird von H2 Mobility Deutschland betrieben, einem Joint Venture von sechs Konzernen, die sich vor einigen Jahren zum gemeinsamen Aufbau und Betrieb eines initialen Wasserstoff-Tankstellennetzes bekannt haben. Geliefert wird zur Hälfte konventionell produzierter Wasserstoff (Gasreformierung oder als Beiprodukt der chemischen Industrie), zur anderen Hälfte Wasserstoff aus grüner und grün zertifizierter Produktion.

Derzeit sind noch wenig Fahrzeuge mit Wasserstoff- und Brennstoffzelle unterwegs. Das liegt auch an deren Verfügbarkeit. So planen deutsche Automobilhersteller, in den 2020er-Jahren erste Kleinserien von Fahrzeugen mit Brennstoffzelle (sogenannte Fuel Cell Electric Vehicle, FCEV) zu lancieren. Es sind mit Hyundai und Toyota Hersteller aus Fernost, die Fahrzeuge auf dem Markt anbieten: Hyundai brachte letztes Jahr mit dem Nexo einen SUV auf den Markt, Toyota bietet die Limousine Mirai seit 2015 an. Als dritter im Bunde hat Honda im Frühjahr 2016 die Serienproduktion seiner Limousine Clarity Fuel Cell aufgenommen, bietet dieses Fahrzeug jedoch lediglich in Japan und Kalifornien an.

Daimler entwickelt und erprobt seit etwa zwei Jahrzehnten Brennstoffzellen-Pkw und -Busse. Das Vorserienmodell Mercedes-Benz GLC F-Cell mit einer nominellen Reichweite von 500 Kilometer wurde anlässlich der Internationalen Automobil-Ausstellung im September 2017 offiziell vorgestellt und wird seit 2018 an einen ausgewählten Kundenkreis vermietet.

Ähnlich sieht das Bild bei Bussen mit Brennstoffzelle aus. Hier steht ein Angebot aus europäischer Produktion zur Verfügung, die Daimler-Tochter Evobus hat für Anfang der 2020er-Jahre einen Bus mit Brennstoffzelle an Bord angekündigt. Die meisten der FCEVs wurden bislang in Japan und Kalifornien sowie – in deutlich geringeren Stückzahlen – in Europa verkauft oder verleast. Toyota setzte bis Anfang 2017 weltweit knapp 3000 Fahrzeuge ab. Die Markteinführung der nächsten Pkw-Generation ist für 2020 mit einem jährlichen Produktionsvolumen von 30.000 Exemplaren geplant.

Modell für andere Regionen

Grundsätzlich können sowohl FCEVs wie auch batterieelektrische Fahrzeuge (sogenannte Battery Electric Vehicle, BEV) einen wichtigen Beitrag für einen sauberen und klimafreundlichen Straßenverkehr leisten. Dabei sind BEVs die effizienteste Lösung und für kleinere Fahrzeuge auf kürzeren Distanzen in urbanen Räumen das Verkehrsmittel der Wahl. Demgegenüber bieten FCEVs mit kurzen Betankungszeiten und größerer Reichweite den höheren Komfort. Mit steigendem Gewicht der Fahrzeuge und steigenden Reichweiten überwiegen grundsätzlich die Vorteile der FCEV. Ein wichtiges Klimapotenzial für die Brennstoffzelle liegt damit in den Bereichen Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) und Nutzfahrzeuge, die in Deutschland heute fast ausschließlich mit Diesel betrieben werden.

Das Projekt „eFarm“ ist ein Leuchtturm für gemeinschaftliches, nachhaltiges Wirtschaften mit erneuerbaren Energien. Vor diesem Hintergrund ist auch ein projektbegleitendes systematisches Akzeptanzmanagement vorgesehen, das einen Dialogprozess initiiert, die Akzeptanz in einem Monitoring erfasst und ihre Einflussgrößen aufzeigt. Das Modell kann auch in anderen Regionen Deutschlands Schule machen. Der Druck auf Städte und Gemeinden, ihren Verkehr klima- und umweltfreundlicher zu gestalten, wird weiter steigen. Wasserstoff aus erneuerbaren Energien kann hier eine entscheidende Rolle spielen, für den Individualverkehr, aber vor allem auch für den ÖPNV und den Güterverkehr. Umso wichtiger also, Wissen und Erfahrungen zu teilen und für alle nutzbar zu machen.

Philipp Braunsdorf

Der Autor
Philipp Braunsdorf ist Programm­manager Infrastruktur Wasserstoff bei der Nationalen Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NOW-GmbH) in Berlin