Svenja Schulze: „Städte haben riesige Potenziale“

Klimaschutz steht auf der politischen Agenda ganz oben. „Endlich“, sagt Bundesumweltministerin Svenja Schulze. Im Interview bewertet sie den Protest junger Menschen und spricht über die Herausforderungen der Kommunen.

Frau Ministerin, stimmt es Sie hoffnungsvoll, dass die junge Generation dem Klimaschutz neuen Schwung gibt?

Schulze: Ich finde es gut, dass die jungen Menschen der Politik ordentlich Dampf machen. Die Proteste haben die klimapolitische Debatte nicht nur in Deutschland binnen weniger Monate fundamental verändert und den Klimaschutz – endlich, muss ich sagen – zu einem der absoluten Topthemen gemacht. Die junge Generation hat dazu jedes Recht, denn sie wird darunter leiden, wenn wir unsere Klimapolitik nicht ambitioniert genug umsetzen. Für diesen Rückenwind bin ich den jungen Leuten sehr dankbar.

Deutschlands Ruf als Vorreiter im Klimaschutz hat zuletzt gelitten. Welche neuen Impulse konnte in dieser Situation die internationale Klimakonferenz Mitte Mai in Heidelberg geben?

Schulze: Die Städte, Regionen und Länder auf der ICCA2019 in Heidelberg haben tatsächlich gemeinsam ein klares Signal in die Welt gesendet: Die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens und der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung sind machbar. Ein zentraler Hebel dafür sind klimagerechte und nachhaltige Städte. Hier liegen noch riesige, bisher zu wenig genutzte Potenziale. Diese können wir heben, wenn wir den Städten weltweit über ihre National- und Regionalregierungen Unterstützungen bereitstellen, welche deutlich über die Schaffung von finanziellen Rahmenbedingungen hinausgehen.

Besonderes Augenmerk wird den Einsparzielen im Verkehrssektor gelten. Kein SUV-Fahrer wird ja sein Fahrzeug zugunsten eines E-Rollers aufgeben …

Schulze: Es ist klar, dass es zur Erreichung der ehrgeizigen Klimaschutzziele der Bundesregierung für den Verkehrssektor eine echte Verkehrswende brauchen wird. Das umfasst den verstärkten Umstieg auf umweltfreundliche Verkehrsträger wie Bus und Bahn, die weitere Effizienzsteigerung von Antrieben sowie die Verbreitung alternativer Antriebe und Energieträger genauso wie – soweit möglich – die Verkehrsvermeidung. Von der Elektromobilität über den ÖPNV bis hin zu alternativen umweltfreundlichen Kraftstoffen für den Flug- und Schiffsverkehr gilt: Es muss uns gelingen, die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen zu befriedigen und gleichzeitig Umwelt und Klima zu schonen.

Ist die Stimme der Kommunen im Klimakabinett vertreten, das bis Jahresende konkrete Maßnahmen zum Klimaschutz auflisten soll?

Schulze: Im Klimakabinett sind neben der Bundeskanzlerin und dem Regierungssprecher alle Bundesministerinnen und -minister vertreten, die Maßnahmen zur Einhaltung unserer Klimaziele ausarbeiten, also der Wirtschafts- und Verkehrsminister, die Landwirtschaftsministerin und der Bauminister. Der Bundesminister der Finanzen ist ebenfalls Mitglied. Als Bundesumweltministerin bin ich beauftragte Vorsitzende. Sie können sich darauf verlassen, dass meine Kabinettskollegen und ich die Anliegen der Kommunen sehr ernst nehmen, denn sie sind ja in vielen Bereichen extrem stark betroffen – denken Sie nur an Fragen der Mobilität und des Bauens. Dort sind sehr viele Entscheidungen auf kommunaler Ebene zu treffen.

Viele Städte und Gemeinden bemühen sich seit Jahren erfolgreich um Energieeinsparung und Ressourcenschonung. Wie können die Kommunen ihr Potenzial noch besser erschließen?

Schulze: In Kommunen liegen riesige Potenziale für den Klimaschutz. Das Bundesumweltministerium hat daher die Förderung für Kommunen erheblich ausgeweitet. Mit der Kommunalrichtlinie gibt es unkomplizierte Förderungen für effiziente Straßenbeleuchtung, effizientere Klär- und Trinkwasseranlagen, Energiemanagementsysteme, aber auch Stellen für Klimaschutzmanager. Über 15 000 Projekte in mehr als 3500 Kommunen sind schon umgesetzt worden. Wir wollen, dass die Kommunen die Förderung noch stärker in Anspruch nehmen und haben deshalb das Service- und Kompetenzzentrum für kommunalen Klimaschutz (SKKK) eingerichtet, um Kommunen deutschlandweit zu beraten und zu unterstützen.

Die kommunalen Wasserversorger sorgen sich um die Qualität des Grundwassers – Stichwort Nitrat. Auch die jüngste Düngeverordnung kritisieren sie als zu lückenhaft. Die konventionelle Landwirtschaft wiederum wehrt sich gegen aus ihrer Sicht zu hohe Auflagen. Wie sehen Sie das?

Schulze: Hier gilt das Wort des Europäischen Gerichtshofes. Dieser hat Deutschland 2018 verklagt, weil unsere Düngeverordnung dem Grundwasserschutz zu wenig Rechnung trägt. Die Europäische Kommission hat die Bundesregierung Ende Juli zum letzten Mal aufgefordert, unsere Düngeregeln zu verschärfen, damit die Nitratwerte im Boden, in Gewässern und nicht zuletzt im Grundwasser, aus dem wir einen Großteil unseres Trinkwassers gewinnen, sinken. Geschieht dies nicht, drohen hohe Strafzahlungen für die öffentliche Hand. Es ist völlig klar, dass wir diese Forderung erfüllen werden. In Zukunft wird in Deutschland weniger Gülle auf die Felder kommen. Daran führt kein Weg vorbei, wenn wir unsere Trinkwasserversorgung sichern und preiswert halten wollen und EU-Recht nicht länger brechen wollen.

„Bessere Vernetzung aller Verkehrsmittel in der Stadt“

Die Umstellung der Fahrzeugflotte in Deutschland auf Elektroantrieb bringt Fortschritte in der Luftreinhaltung, löst aber nicht das Problem verstopfter Innenstädte. Was ist Ihre Vorstellung vom Stadt- und Nahverkehr der Zukunft?

Schulze: Die Lebensqualität in den Städten hängt stark vom Verkehrssystem ab. Staus, lange Wartezeiten, teure Tickets, all das nervt viele Menschen. Daher ist es gut, dass wir endlich mehr darüber reden, wie der ÖPNV in Zukunft aussehen soll und wie wir Bus- und Bahnangebote preiswerter und bequemer machen können. Mit dem Elektroantrieb bekommen wir nun eine Antriebsform, die lokal, in den Straßen vor Ort, keine Emissionen mehr verursacht, die leiser und klimafreundlicher ist. Auch das verbessert die Lebensqualität. Natürlich kostet die Umstellung, zum Beispiel von Bussen, Geld. Deshalb fördern wir bei Elektrobussen die Anschaffung und zahlen als Bund bis zu 80 Prozent der Anschaffungsmehrkosten. Wir werden aber auch grundsätzlicher umdenken müssen und uns Schritt für Schritt vom Vorrang für Autos zum Gleichrang aller Fahrzeuge in den Städten bewegen. Das heißt mehr Fahrradwege, mehr Bereiche, in denen Menschen ungestört zu Fuß gehen können, aber auch mehr Lieferdienste auf Cargo-Bikes und eine deutlich bessere Vernetzung aller Verkehrsmittel in der Stadt. Es muss in Zukunft überall möglich sein, schon per App zu sehen, wo und wie ich mit Bus und Bahn, E-Bike oder Fahrrad einen Ort erreichen kann, wie ich von einem Verkehrsmittel auf ein anderes wechseln kann und das Ganze möglichst nur mit einem Ticket.

Ausgerechnet die Städte werden zum Hort der Biodiversität erklärt, wo zum Beispiel Bienen bessere Lebensbedingungen vorfinden als in der freien Natur. Müssen die Kommunen die Ausgleichsleistung erbringen für die Produktion von Biomasse auf Agrarsteppen?

Schulze: Ich bin der festen Überzeugung, dass wir den Verlust unserer biologischen Vielfalt nur mit einem gemeinsamen Engagement – sowohl in unseren Städten als auch in der Agrarlandschaft – aufhalten können. Mehr als die Hälfte der Fläche Deutschlands wird landwirtschaftlich genutzt. Insofern liegt es auf der Hand, dass Landwirtschaft und Agrarpolitik für die Erhaltung der biologischen Vielfalt zentral sind. Städte können jedoch für den Schutz der Insekten jede Menge leisten, zum Beispiel durch die Erhaltung und Wiederherstellung von Lebensräumen, weniger Flächenverbrauch oder die Umstellung auf insektenfreundliche Beleuchtung. Mir ist aber auch sehr wichtig, dass die Menschen direkt vor ihrer Haustür unsere heimische Tier- und Pflanzenwelt erfahren und genießen können. Deshalb unterstützen wir die Kommunen mit dem „Masterplan Stadtnatur“ gezielt, mehr und höherwertige Grünflächen im Siedlungsbereich zu schaffen.

Interview: Jörg Benzing

Zur Person: Svenja Schulze (Jg. 1968, SPD) ist seit März 2018 Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit in der Großen Koalition. Zuvor war sie Generalsekretärin ihrer Partei in Nordrhein-Westfalen und von 2010 bis 2017 Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen