Stefan Scholer: „Lernbereitschaft muss Grundhaltung werden“

Lebenslanges Lernen wird zum prägenden Element in der Arbeitswelt. Was bedeutet kontinuierliche Fortbildung für Mitarbeiter und Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes? Stefan Scholer, Leiter des Aus- und Fortbildungszentrums der Stadt München, antwortet auf Fragen der Redaktion zu diesem Thema.

Scholer: In einer Zeit bislang nicht bekannter Beschleunigung und Veränderung nahezu aller Lebens- und Arbeitsbereiche ist lebenslanges Lernen nicht nur „wichtig“, Lernbereitschaft wird zur alles entscheidenden Kompetenz – auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kommunalverwaltungen. Ich bin ganz sicher: Wer nicht dran bleibt und aus eigenem Antrieb heraus gerne und engagiert dazulernt, wird zukünftig sehr schnell abgehängt. Nicht nur ständige fachliche Weiterqualifizierung ist wichtig. Insbesondere Führungskräfte sollten „Selbstentwicklung“, also die ständige Weiterentwicklung ihrer Sozialkompetenzen, als wichtigste Führungsaufgabe definieren. Ohne Lernbereitschaft als Grundhaltung wird es zukünftig nicht mehr funktionieren.

Wie stark ist nach Ihren Erfahrungen die Bereitschaft des kommunalen Personals, etwas für die eigene laufende Qualifizierung zu tun?

Scholer: Nach meinem Erleben ist sie insbesondere bei jüngeren Kollegen und in der mittleren Altersgruppe sehr groß. Bei höheren Semestern stellen wir hingegen schon eine gewisse Fortbildungsmüdigkeit bis hin zur Fortbildungsresistenz fest. Das darf nicht sein. Es geht nicht an, dass Kollegen jenseits der 50 entweder nicht mehr wollen oder sich nicht mehr angesprochen fühlen. Nicht nur, aber insbesondere um diese Zielgruppe sollten sich Kommunalverwaltungen kümmern. Und sie auch in die Pflicht nehmen!

Durch die Brille des Fortbildungsverantwortlichen einer großen Kommunalverwaltung gesehen: Was muss der einzelne Mitarbeiter selbst tun, damit er sein Wissen aktuell hält und vermehrt? Was kann und muss diesbezüglich der Arbeitgeber von seinen Beschäftigten erwarten?

Scholer: Jeder einzelne Mitarbeiter sollte zuallererst eine positive Grundhaltung zu lebenslangem Lernen entwickeln. In der Praxis: Jedes Jahr ein bis zwei Fortbildungen, das ist das Minimum! Und die Arbeitgeber, also die Verwaltungen: Sie sollten klar und unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass sie kontinuierliche Weiterbildung von Führungskräften und Mitarbeitern erwarten. Sie können auch positive Anreize für lebenslanges Lernen und persönliche Weiterentwicklung schaffen. Indem zum Beispiel nachgewiesene Fortbildungen als Pluspunkte bei der weiteren Karriere, etwa bei Stellenbesetzungen, in Rechnung gestellt werden. Dann wird allen klar: Fortbildung und die Arbeit an sich selbst sind mehr als ein Nice-to-have im Dienstalltag!

Was konkret kann der Mitarbeiter von seinem Arbeitgeber erwarten, wenn es um die Frage der Weiterbildung im Beruf und generell lebenslanges Lernen geht?

Scholer: Zuallererst eine positive Lernkultur in der Verwaltung. Nur wenn ich das Gefühl habe, meine Fortbildungsbemühung wird von Vorgesetzten nicht nur anerkannt und geduldet, sondern auch geschätzt und sogar erwartet, werde ich guten Gewissens meinen Schreibtisch verlassen. Und schließlich haben die Mitarbeiter natürlich auch ein Recht auf attraktive und gut zugängliche Fortbildungsangebote. Wenn ich mir hier allerdings die Wirklichkeit in vielen Verwaltungen anschaue – da gibt es noch gewaltig Luft nach oben! Es muss auch nicht immer teuer sein: Formate und Foren zur Verfügung zu stellen, in denen sich zum Beispiel Führungskräfte der Verwaltung regelmäßig austauschen können – dazu braucht man nicht zwingend externe Trainer. Ich denke beispielsweise an die „Kollegiale Beratung“, eines der wirksamsten internen Fortbildungsformate auch für Kommunalverwaltungen.

Welchen Stellenwert hat Weiterbildung in der Verwaltung der Landeshauptstadt München? Welche Ziele verfolgt sie und wie erfolgreich sind die Bemühungen rund um die Aus- und Fortbildung von Mitarbeitern?

Scholer: Aus- und Fortbildung sind bei uns strategisch ganz oben angesiedelt. Führungskräfte wie Mitarbeiter können auf ein umfassendes Angebot direkt zugreifen. Das sind nicht nur Seminare, sondern auch andere Formate wie die eben schon erwähnte Kollegiale Beratung und Coaching. Für neue Führungskräfte gibt es eine verpflichtende, etwa 15-tägige Führungskräftereihe, die durchaus dankbar angenommen wird. Die Kolleginnen und Kollegen sehen es auch als Zeichen großer Wertschätzung, dass der Arbeitgeber bei uns so viel in Fortbildung und Personalentwicklung insgesamt investiert.

Inwieweit kann konsequent betriebene Weiterbildung in Kommunalverwaltungen einen Beitrag leisten, die Auswirkungen des Fachkräftemangels abzumildern?

Scholer: Hier sehe ich zwei Aspekte. Zum einen gibt es zur Zeit eine ganz große Tendenz in Unternehmen, bei der Suche nach Fachexpertise nicht immer nur nach außen, sprich auf den externen Markt, zu schauen. Der Blick wird – sicherlich auch notgedrungen – zunehmend nach innen gerichtet, auf die Potenziale, die im eigenen Unternehmen leider bislang noch oft vor sich hin schlummern. Und auf den gezielten Ausbau dieser Potenziale. Motto: Wir finden das Personal nicht mehr am Markt – dann bilden wir es selbst aus oder bilden das bestehende Personal fort. Zum anderen ist eine attraktive betriebliche Weiterbildung, eine insgesamt stimmige Personalentwicklung auch ein entscheidendes Kriterium, wenn Fachkräfte vor der Entscheidung stehen, in welches Unternehmen sie nun gehen. Hier zu investieren, ist geradezu ein Muss für den gesamten öffentlichen Sektor, der beim Anreizfaktor Vergütung mit der Wirtschaft ja oft nicht mithalten kann.

Haben Sie den Eindruck, dass Kommunalverwaltungen diese Botschaft schon in der Breite aufgenommen haben?

Scholer: Ich denke schon. Und wenn nicht: Es ja nie zu spät! Wichtig ist meiner Meinung nach, das Thema Weiterbildung beziehungsweise Personalentwicklung strategisch in der Kommunalverwaltung anzulegen. Hierzu gehören Fragen wie: Was ist unser mittel- und langfristiges Ziel? Welche Kompetenzen wollen wir auf- beziehungsweise ausbauen? Welche Ressourcen haben und brauchen wir? Welche Zielgruppen brauchen welche Angebote? Was sind geeignete Fortbildungsformate? Optimal ist es dabei immer, wenn in Diskussion und Beantwortung dieser Fragen auch die Verwaltungsleitung und die Politik einbezogen werden.

Interview: Wolfram Markus

Zur Person: Stefan Scholer ist Diplom-Soziologe und leitet das Aus- und Fortbildungszentrum der bayerischen Landeshauptstadt München. Hier verantwortet er unter anderem die zentrale Fortbildung von knapp 40.000 Mitarbeitern, darunter über 3500 Führungskräfte. Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Verankerung arbeitsplatznaher und kompetenzorientierter Lernformen in der Aus- und Fortbildung. Scholer absolvierte eine Zusatzausbildung zum Systemischen Management Coach. Außerdem ist er als Autor von Fachbeiträgen zu den Themen Führungskompetenz, neue Lernformen, Coaching, kollegiale Beratung und systemische Fragen tätig.