Nicht die alten Fehler wiederholen

Um auch künftig weltoffen, wettbewerbsfähig und wirtschaftlich erfolgreich zu sein, ist Deutschland mittel- und langfristig auf Einwanderung angewiesen. Der baden-württembergische Sozial- und Integrationsminister Manne Lucha benennt in seinem Beitrag Gründe für ein Einwanderungsgesetz.

Seit Jahren führen wir in Deutschland die Debatte über die Notwendigkeit eines Einwanderungsgesetzes. Oftmals dreht sich die Diskussion um die Frage, welche Einwanderung Deutschland überhaupt braucht. Da beim Thema Migration häufig die Emotionen hochkochen, kann ein Blick auf die Fakten helfen, die teils hitzig geführte Debatte zu versachlichen.

Der Bedarf an Arbeitskräften wird voraussichtlich in den nächsten Jahren aufgrund der guten wirtschaftlichen Entwicklung und wegen der rückläufigen Zahl junger Menschen, die neu ins Erwerbsleben eintreten, weiter steigen. Um auch künftig weltoffen, wettbewerbsfähig und wirtschaftlich erfolgreich zu sein, ist Deutschland mittel- und langfristig auf Einwanderung angewiesen. Ein Augenmerk ist dabei auch auf das Potenzial hier lebender Drittstaaten-Angehöriger zu richten, darunter Menschen, die in den vergangenen Jahren als Geflüchtete in die Bundesrepublik gekommen und integrationsfähig sind.

Kluges “Erwartungsmanagement” ist nötig

Ein zeitgemäßes Einwanderungsgesetz sollte einen transparenten und kontrollierten Zugang für alle interessierten und qualifizierten Menschen aus Drittstaaten ermöglichen. Klar ist aber auch, dass ein Einwanderungsgesetz die Steuerung der Migration nach Deutschland nicht in jeder Facette leisten kann. Genannt seien zum Beispiel EU-Binnenmigration und Asylzuwanderung. Um Enttäuschungen zu vermeiden, bedarf es daher eines klugen Erwartungsmanagements.

Bei der Ausgestaltung eines neuen Einwanderungsrechts sollten wir nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen und nur die Arbeitskraft der Menschen im Blick haben. Sie werden bleiben und ihre Familien werden mit- oder nachkommen. Deshalb müssen die Aspekte Integrationsfähigkeit (bzw. bereits erbrachte Integrationsleistungen) in unserem Land bei einem Einwanderungsgesetz eine wesentliche Rolle spielen. Um die verschiedenen für die Wirtschaft und Gesellschaft relevanten Aspekte umfassend und nachvollziehbar bewerten zu können, bietet sich ein Punktesystem an.

Punktesysteme haben Vorteile

Die Erfahrungen anderer Länder (z. B. Kanada, Neuseeland, Australien) und die Ergebnisse eines punktebasierten Modellprojekts zur Fachkräftezuwanderung in Baden-Württemberg („PuMa“) weisen die Richtung: So wäre ein punktebasiertes System (humankapital-, potenzial- und integrationsorientiert) ergänzt durch arbeitsmarktorientierte oder arbeitgebergesteuerte Elemente eine gute Regelung, um Fachkräften aus Drittstaaten den Zugang nach Deutschland zu ermöglichen. Punktesysteme haben den Vorteil, dass Bewertungskriterien für unterschiedliche Aspekte klar festgelegt sind und über einen hohen Grad an Transparenz verfügen. Punktesysteme können damit einen klaren und nachvollziehbaren Rahmen vorgeben.

In das Punktesystem aufgenommen werden könnten die Zuwanderungsmöglichkeiten nach Deutschland, die bereits im bisherigen System der Arbeitsmigration bestehen (z. B. die Blaue Karte EU). Damit gäbe es nur noch ein Punktesystem, das alle bisherigen Zugangswege integriert und darüber hinaus bei Erfüllung bestimmter definierter Kriterien neue zusätzliche Zuwanderungschancen nach Deutschland oder auch Bleibechancen in Deutschland ermöglicht.

Verbundenheit zu Deutschland als ein Kriterium

Zentrale Kriterien für einen Zugang aus dem Ausland oder den Wechsel hier lebender Drittstaaten-Angehöriger in die Arbeitsmigration könnten sein: Sprachkenntnisse, berufliche Qualifikationen, Berufserfahrungen im erlernten Beruf, Verbundenheit zu Deutschland (Voraufenthalte, Verwandtschaft in Deutschland), Beweise für Integrationsfähigkeit (weitere Fremdsprachkenntnisse, Erwerbs- oder Bildungsaufenthalte in anderen Ländern, herausgehobenes soziales Engagement), das Lebensalter und die Arbeitsaufnahme in einem Mangelberuf in Deutschland.

Mit folgenden zwei Beispielen möchte ich verdeutlichen, wie sich ein Punktesystem konkret auswirken könnte. Eine knapp 30-jährige Krankenschwester von den Philippinen besuchte eine staatliche Krankenpflege-Schule in Manila mit Abschluss im Jahr 2012, danach arbeitete sie sechs Jahre in einem Krankenhaus. Eine Berufserlaubnis vom Regierungspräsidium liegt vor. Deutsch- und Englischkenntnisse werden jeweils mit dem Niveau B2 nachgewiesen. Ein Klinikum im Südwesten bietet ihr einen Arbeitsplatz an. Ausreichend Punkte für einen Zuzug nach Deutschland könnte es in diesem Fall für den in Deutschland bereits anerkannten Abschluss und die guten Sprachkenntnisse geben sowie für die Berufserfahrung und den Nachweis eines Arbeitsplatzes in einem Mangelberuf.

Zielgerichtet auf Bedarf des Arbeitsmarkts reagieren

Ein anderes Beispiel: Ein junger Mann aus Nigeria, Anfang 20, seit zwei Jahren geduldet in Deutschland, Deutschkenntnisse B2, absolviert seit September 2017 eine Ausbildung zum Gerüstbauer in unserem Land. Ausbildungsende ist voraussichtlich im Sommer 2020. Er wurde nicht straffällig und es liegen keine Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht vor. Aktuell sind die Bedingungen für einen Wechsel in die Arbeitsmigration nicht erfüllt – aber im Sommer 2020 mit dem Abschluss der Berufsausbildung zum Gerüstbauer. Bis dahin soll Rechtssicherheit für den jungen Mann als auch für seinen Arbeitgeber bestehen, dass der Auszubildende im Land bleiben darf. Eine 3+2-Regelung (s. Info) wäre damit auch nicht mehr notwendig.

Diese Beispiele zeigen, dass es höchste Zeit ist, mit einem modernen Einwanderungsgesetz zielgerichtet auf den Bedarf des Arbeitsmarkts zu reagieren, dabei die Anforderungen an die Integrationsfähigkeit und Leistungen der Zuwanderungswilligen zu regeln und zugleich den oft sehr unterschiedlichen Biografien gerecht zu werden.
Manne Lucha

Der Autor
Manne Lucha MdL ist Minister für Soziales und Integration von Baden-Württemberg

Info: Die 3 + 2-Regelung
Die sogenannte 3 + 2-Regelung sieht vor, dass Geflüchtete, die kein Bleiberecht haben und nicht abgeschoben werden können, dann eine zweijährige Duldung erhalten, wenn sie eine dreijährige Ausbildung durchlaufen und in dem erlernten Beruf arbeiten. Die Rechtsgrundlage für diese Regelung ist das Aufenthaltsgesetz (§ 60a Abs. 2 Sätze 4 und 5 AufenthG). Über den Einzelfall entscheiden die Ausländerbehörden.