Neue Architektur des Lernens

Der souveräne Umgang mit Wissen, dessen „Halbwertszeit“ schrumpft, und das Verständnis von Lernen als einer Lebensaufgabe werden künftig die Schlüsselqualifikationen in unserer Gesellschaft sein. Nur so ist es möglich, Identität in einer sich immer rascher verändernden Welt zu bewahren.

Das Szenario ist vielfach beschrieben: Unsere Gesellschaft altert, sie schrumpft – in Stadt und ländlichen Regionen sehr unterschiedlich –, und die Bevölkerung wird vielfältiger. Der demografische Wandel wirft seine Schatten auf das Land. Sein besonderes Echo findet der Wandel in den Folgen für Bildung und den Umgang mit Wissen.

Bildung und Wissen sind fließend statt starr. Sowohl Zugang als auch Praxis stehen unter dem Stern des Wandels. Längst befinden wir uns auf dem Weg in die Wissensgesellschaft. Mental ist dieser Wandel schon weiter gediehen, als es die bestehenden Entscheidungs- oder Infrastrukturen abbilden. Zwei Faktoren sind wesentlich: Der Zugang zu Bildung und Wissen ist heute nicht mehr ortsgebunden. Zudem ist Wissen das einzige Gut, das sich vermehrt, wenn man es teilt.

Kinder und Jugendliche, die heute eine Schule besuchen, werden künftig vor Herausforderungen stehen, die die jetzige Generation kaum erahnen kann. „Ihre“ Stadt wird sich in mehrfacher Hinsicht exponentiell verändern. Um damit umzugehen, braucht es andere Fertigkeiten, andere Perspektiven und Herangehensweisen als bisher. Gemeint sind etwa vernetztes Denken, Medienkompetenz im Umgang mit dem Ungewissen sowie der Umgang mit Datenverständnis und -veredelung. Der Erwerb dieser Fähigkeiten beginnt früh und endet nicht. Gefragt ist ein lebenslanges Lernen mit individuellen und strukturellen Kompetenzen.

Damit stehen Kommunen vor großen Herausforderungen, denn hier werden die Weichen gestellt. Es braucht eine andere kommunale Architektur des Wissens und der Bildung, als das bisher der Fall war. Eine Schule ohne ausreichende Anbindung an die Welt nach draußen, ist künftig undenkbar. Die Schule muss sich öffnen und mit der (globalen) Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft in den Austausch treten.

Nichts veraltet so schnell wie Wissen, das in seiner Beschaffenheit immer differenzierter wird. Die Arbeitswelt ändert sich durch das Internet der Dinge. Der Kulturwandel wird gewaltig sein, wenn zur Anwendung kommt, was bereits jetzt in den Technologiezentren wartet. Ein Beispiel ist der Roboter „Flobi“ aus dem Exzellenzcluster Kognitive Interaktionstechnologie (CITEC) der Universität Bielefeld: Im vernetzten Zuhause „KogniHome“ unterstützt er Menschen mit Demenz, damit sie länger selbstständig im eigenen Heim leben können. Diese Art vernetzter Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) mit ihren sozialen Implikationen und Möglichkeiten enthebt viele geltende Traditionen und Geschäftsmodelle ihrer Wirkung.

Die digitale Verfügbarkeit aller Arten von Daten und damit an Wissen sorgt für ein riesiges Volumen an Informationen, für Schnelligkeit im Zugang und führt zu einer Zunahme an Vielfalt und Deutungshoheit. Der Wert der digitalen Angebote steigt mit der Zahl der Nutzer.

Vernetzte Bildungslandschaften

Ein tragendes Element der Entwicklung wird die Vernetzung sein. Wer Bildung und Wissensmanagement bisher verörtlicht hat, wird feststellen, dass Grenzen durch Institutionen oder Gebäude keine Geltung mehr haben. Netzwerke füllen dieses Vakuum. In vernetzten Bildungslandschaften wirken Akteure überregional, global und dann auch wieder kommunal zusammen. Das bedeutet einen Kulturwandel im Sinne von Teilen. Die neuen Informations- und Kommunikationsmittel erlauben einen permanenten Teilhabeprozess, angelehnt an die individuellen Bedürfnisse der Lernenden und auch der partizipativen Gesellschaft.

Kommunen können diese Entörtlichung aber „zurückholen“: Neben den Online-Möglichkeiten braucht es reale Schnittstellen, an denen sich Menschen begegnen und austauschen können. Ideal dafür sind attraktive Orte und Events, etwa in „City Labs“, Labore mit einem Fokus auf Entwicklungen in den Kommunen. Hier bündeln sich die Kompetenzen der Vielen einer Stadtgemeinschaft zur Beantwortung der Fragen, wie beispielsweise Mobilität aussehen wird, die Energiewende vor Ort gelingen kann oder sich soziale Entwicklungen konkret auswirken.

Innovationslabore

Smarte Städte, also im weitesten Sinne vernetzte Städte, können zu regelrechten Innovationslaboren werden. Neben den Städten, die einer schnelleren und gewohnte Strukturen aufbrechenden Entwicklung schon aufgrund der Vielfalt und einem schnellen Lebensrhythmus offen gegenüber stehen, kann auch der ländliche Raum diese Herausforderung für sich annehmen. Im ländlichen Raum ist die Kenntnis der örtlichen Begebenheiten übersichtlicher und die Vernetzung meistens ausgeprägt. Mithilfe der neuen IKT kann dies ein Vorteil sein beim Sprung in die digitale Veränderung. Voraussetzung dafür ist der Anschluss an ein schnelles Netz.

In Innovationslaboren geht es nicht nur darum, die Technik und die Sensoren in erheblichem Maß in den kommunalen Alltag zu integrieren (etwa unter dem Aspekt der „City Sensorship“). Vielmehr stehen darin der Mensch und seine soziale Interaktion unangefochten im Mittelpunkt. Bildungspolitik und Wissensmanagement werden von unten gestaltet – Projekte werden entlang der Bedarfe und Lebenssituationen der Menschen entwickelt. Das gilt auch für die Öffnung von Schulen. Wenn die Vermittlung und der Erwerb von Bildung die Institutionen verlässt, muss auch die kommunale Bildungspolitik neu definiert werden.

Smart City Labs

Wissenstransfer ist längst nicht mehr nur an Experten gebunden. Vor Ort sind die Menschen in vielfacher Hinsicht selbst Experten. In neuen Formen der Zusammenarbeit (Kollaboration, Koproduktion, Kooperationen) begegnen sich Menschen auf Augenhöhe mit dem Ziel, gemeinsam Probleme oder Fragestellungen zu identifizieren, an deren Lösung alle Beteiligten mitwirken. Ein gutes Beispiel sind die kommunalen „OK Labs“: Interessierte nutzen offene Daten der Kommune und verschneiden diese zu Apps. Mit Anwendungen wie „Kleiner Spatz“, die die Suche nach einem Kita-Platz online vereinfacht, können sie den Alltag von Eltern erleichtern.

In den Labs entwickeln Bürger, Experten und Initiativen gemeinsam Ideen, ermitteln Wege und Möglichkeiten der Umsetzung und zum Transfer von Know-how. Das setzt voraus, dass bis zu dem Zeitpunkt der Zusammenkunft auch ausreichend Zugänge zu Informationen geschaffen werden, die eine Befassung mit einem Thema ermöglichen. Offene Daten und Open Sources spielen künftig eine Hauptrolle. Man „besitzt“ kein Wissen mehr – man nutzt und teilt es mit anderen.

Bibliotheken als Zentren

Ausgestattet mit öffentlich zugänglichen Terminals und WLAN werden Bibliotheken zum Stadtlabor mit Impulsgebern und Ansprechpartnern. Durch diese Art von ein Crowdlearning in ihren Räumlichkeiten, können Bibliotheken ein Modell für die kommunale Verortung von Wissen sein. Eine Vernetzung mit örtlichen Kultur- und Bildungseinrichtungen wie Schulen, Jugendzentren, Volkshochschule oder Orten der Begegnung in den Stadtteilen ist sinnvoll.

Wissenstransfer

Politik, Verwaltung und Bürger müssen sich auf den Weg machen, neue Formen der Kommunikation miteinander einzuüben, die einander beteiligen. Wissenstransfer ist eine Aufforderung an jede Kommune, ob klein oder groß, und ist auch eine Aufforderung an die Bewohner einer Stadt. Kommunen müssen dazu proaktiv Datensätze zur Verfügung stellen, aber auch eigene Kanäle zur Kommunikation nutzen, wie etwa Social Media. Es ist die Aufforderung zur Interaktion und zur Erkenntnis, welche sozialen Implikationen das Digitale schafft. Das heißt hier „teilen“ statt „besitzen“. Das Ziel ist, ein beweglicher Teil des Wandels zu bleiben. Bildung als ein lebensbegleitender Entwicklungsprozess und ein Wissensmanagement, das der kurzen Halbwertszeit von Informationen Rechnung trägt, werden daher die Schlüsselqualifikationen in unserer Gesellschaft sein. Nur so ist es möglich, Beständigkeit und Identität in einer immer rascher verändernden Welt zu bewahren. Das geht nur mit dem Wissen der Vielen.

Anke Knopp

Die Autorin
Dr. Anke Knopp ist Project Manager des Programms „Lebenswerte Kommune“ der Bertelsmann-Stiftung in Gütersloh