Kläranlagentechnik: Reinigungsstufe Nummer vier

Baden-Württemberg rüstet immer mehr Kläranlagen mit einer weitergehenden Reinigungsstufe zur gezielten Spurenstoffelimination aus. Dabei werden mit verschiedenen Techniken Spurenstoffe aus dem Abwasser geholt. Ziel ist, die Gewässer wie auch die Trinkwasserressourcen künftig noch besser zu schützen.

Von Medikamenten über Pflanzenschutzmittel bis zu Industriechemikalien – eine wachsende Reihe an Substanzen im Abwasser hat das Potenzial, auch in geringen Konzentrationen die Qualität der Gewässer zu beeinträchtigen. Auf die dort lebenden Tiere und Kleinlebewesen können solche Spurenstoffe zum Beispiel ähnliche Wirkungen wie Hormone haben, was zu unnatürlichen Entwicklungen führen kann. Mit der bisherigen Kläranlagentechnik – also der mechanischen und biologischen Reinigung sowie der Phosphorfällung – lassen sich viele Spurenstoffe allerdings nur unzureichend aus dem Abwasser entfernen.

Mit einer zusätzlichen, einer vierten Reinigungsstufe ist eine deutlich weitergehende Eliminierung möglich. Da sich die vielfältigen Wechselwirkungen der Spurenstoffe auf die Gewässerökosysteme derzeit noch nicht in vollem Umfang beschreiben lassen, kommt der Entnahme dieser Verbindungen aus dem Abwasser schon aus Vorsorgegründen eine hohe Bedeutung zu. Dies trägt auch wesentlich zum Schutz der Ressource Trinkwasser bei.

In Baden-Württemberg wurden deshalb in den letzten Jahren immer mehr Anlagen mit der neuen Technik ausgerüstet, wobei das Land bundesweit eine führende Rolle übernommen hat. Heute verfügen 16 kommunale Kläranlagen im Land über eine solche Vorrichtung. 16 weitere sind im Bau oder in Planung. Somit lässt sich künftig das Abwasser von 2,1 Millionen Einwohnern deutlich besser reinigen als bisher. Als Plattform für den Wissenstransfer bei der Einführung der vierten Reinigungsstufe spielt das Kompetenzzentrum Spurenstoffe Baden-Württemberg („KomS BW“) eine wichtige Rolle.

Zwei Möglichkeiten: Aktivkohle und Ozon

Zur weitergehenden Entfernung der Spurenstoffe stehen dabei prinzipiell zwei Möglichkeiten zur Verfügung: Aktivkohle und Ozon. Beim sogenannten Ulmer Verfahren wird dem Abwasser nach der dritten Reinigungsstufe im Kontaktreaktor Pulveraktivkohle (PAK) zudosiert. Nach der Vermischung entwickelt diese im Kontaktbecken ihre Wirkung: An ihrer großen inneren Oberfläche lagern sich die Spurenstoffe an. Anschließend wird sie samt den eingelagerten Spurenstoffen im Sedimentationsbecken wieder vom Abwasser getrennt, wobei sich dieser Prozess mit Fällmitteln unterstützen lässt. Nach einer Filtration wird die Aktivkohle der Biologischen Reinigung zugeführt, um schlussendlich zusammen mit dem Klärschlamm getrocknet und verbrannt zu werden. Die meisten Anlagen mit einer vierten Reinigungsstufe in Baden-Württemberg arbeiten mit dieser Methode.

Eine weitere Möglichkeit ist, das Abwasser mit der hochaktiven Sauerstoffform Ozon zu begasen, wodurch die Spurenstoffe chemisch zerlegt werden. Dies kann je nach Zusammensetzung des Abwassers Vorteile bieten. Die erste baden-württembergische Ozonanlage wurde Anfang Oktober 2019 auf der Kläranlage Eriskirch in Betrieb genommen. Derzeit befinden sich in Baden-Württemberg drei weitere Anlagen mit dieser Technik im Bau und in Planung.

Wie gut die bereits seit Jahren etablierte PAK-Technik funktioniert, hat das „KomS BW“ unter anderem an der Kläranlage Stockacher Aach untersucht. Dort wird die weitergehende Reinigungsstufe zur Spurenstoffelimination seit 2011 betrieben, vor allem im Hinblick auf den Schutz des als Trinkwasserressource dienenden Bodensees, in den der Vorfluter Stockacher Aach entwässert. Maximal können mit der PAK-Stufe 21 600 Kubikmeter täglich behandelt werden, wobei im Schnitt 9,8 Milligramm PAK pro Liter Abwasser zudosiert werden. Im Zuge einer einjährigen Messkampagne wurde festgestellt, dass bei Trockenwetter zwischen 90 und 92 Prozent der Spurenstoffe eliminiert wurden.

Eine etwas andere Technik wird derzeit in Mannheim getestet. Dort wurde das PAK-Verfahren europaweit erstmals großtechnisch eingesetzt. Mittlerweile wird das gesamte Abwasser des Klärwerks während Trockenwetter in einer PAK-Anlage gereinigt. Nun soll zusätzlich granulierte Aktivkohle (GAK) die Spurenstoffe aus einem bei Regenwetter genutzten Bypass eliminieren. 2018 summierte sich diese unbehandelte Abwassermenge auf 2,8 Millionen Liter. Um künftig auch aus diesem Bypass-Abwasser die Spurenstoffe eliminieren zu können, wurden im Rahmen eines Großversuchs drei Filterzellen mit GAK ausgerüstet. Der Erfolg ist vielversprechend, auch hier liegen die Eliminierungsraten bei mehr als 80 Prozent.

Emissionsminderung bei rund 90 Prozent

Allerdings zeigen die bisherigen Erfahrungen, dass die Spurenstoffe chemisch gesehen einen sehr weiten Bereich umfassen und die Erfolgsraten der weitergehenden Reinigungsstufe vom individuell zu behandelnden Abwasser abhängen. So ergaben Vergleichsmessungen in den Jahren 2014 bis 2019 an elf baden-württembergischen Anlagen, dass allein durch die biologische Reinigung einzelne Substanzen stark oder sogar annähernd vollständig eliminiert werden, andere dagegen nicht oder nur kaum. Auch bei der Beseitigung der Spurenstoffe in der vierten Reinigungsstufe weisen die Eliminationsraten je nach Substanz eine hohe Bandbreite auf.

Seit 2018 wird in Baden-Württemberg die Gesamtleistung einheitlich an den Eliminationsraten von sieben Substanzen gemessen, die als repräsentativ für die Gruppe der Spurenstoffe angesehen werden. Als Fazit bleibt festzuhalten, dass bei zahlreichen Spurenstoffen die Emissionsminderung bei rund 90 Prozent und damit weit über der geforderten Mindestelimination von 80 Prozent liegt.

Aufbauend auf diesen Erfahrungen setzt das Land Baden-Württemberg auch weiterhin auf eine Zwei-Säulen-Strategie: Zum einen soll bereits der Eintrag von Spurenstoffen so weit wie möglich vermieden werden, etwa durch Aufklärungskampagnen, dass Arzneimittel nicht in der Toilette entsorgt werden sollen. Zum anderen wird die Aufrüstung von Klärwerken mit der weitergehenden Reinigungsstufe zur Spurenstoffelimination unter bestimmten Bedingungen gefördert.

Die Kosten für den Betrieb halten sich in Grenzen. Sie liegen einer detaillierten Untersuchung an sechs Anlagen zufolge in der PAK-Stufe zwischen 3,9 und 7,0 Cent je Kubikmeter behandelten Abwassers. Deutlich stärker schwanken dagegen die für die PAK-Aufrüstung erforderlichen Kapitalkosten: Sie liegen zwischen 4,9 und 20,6 Cent je Kubikmeter. Allerdings investiert das Land Baden-Württemberg großzügig in die Förderung der Aufrüstung. Werden Fördermittel und Einsparungen durch eine bessere Reinigung mit berücksichtigt, so ergeben sich insgesamt Mehrkosten zwischen 8,6 und 20,6 Cent je Kubikmeter – entsprechend zwischen 3,8 und 11,5 Euro je Einwohner und Jahr.

Marie Launay / André Hildebrand

Die Autoren
Dr.-Ing. Marie Launay ist Leiterin des Kompetenzzentrums Spurenstoffe Baden-Württemberg, André Hildebrand ist Geschäftsführer des baden-württembergischen Landesverbandes der DWA und für die Öffentlichkeitsarbeit des „KomS BW“ zuständig

Info: Das Kompetenzzentrum Spurenstoffe Baden-Württemberg (KomS BW) wurde 2012 gegründet mit dem Ziel, als Plattform für den Wissenstransfer die neue Technik der Spurenstoffeliminierung wissenschaftlich zu begleiten und die Betreiber bei der Erweiterung ihrer Anlagen zu unterstützen. Getragen wird es von der Universität Stuttgart, der Hochschule Biberach und dem Landesverband Baden-Württemberg der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA).