Impulse für Innovation

Die öffentliche Beschaffung befindet sich im Wandel: Ein Einkauf, bei dem die Beachtung der formalen Kriterien im Vordergrund steht, genügt heute nicht mehr. Künftig wird sich der Blick auf neue Produkte und Projekte richten müssen. Nur so kann die öffentliche Hand effizienter sein und Märkte beeinflussen. Zum Beispiel zugunsten nachhaltigen Wirtschaftens.

Königlicher Hoflieferant, mit diesem Titel durften sich in der deutschen Monarchie ausgewählte Handwerker und Betriebsinhaber schmücken. Die „Königsnähe“ brachte Vorteile für die Betriebe: Der Titel vermittelte den Kunden die Botschaft, dass es sich hier um Unternehmen mit bestem Leumund handelte, deren Waren und Leistungen höchsten Ansprüchen genügten. Das zog bürgerliche wie adelige Käufer besonders an.

Die Zeiten, als die Versorgung des Staates mit Waren und Leistungen ein Privileg war, das man sich erdienen oder verdienen konnte, und in der Geschäftsmöglichkeiten mit der Obrigkeit von deren Wohlwollen abhing, endeten vor rund 100 Jahren. Im Zuge der Ablösung der Monarchie durch die Demokratie übernahm das Volk durch seine gewählten Vertreter die Kontrolle über den Staatshaushalt und es galt ein neuer Grundsatz, der Schluss machte mit privilegierten Auftraggeber-Auftragnehmer-Beziehungen: Der Staat sollte mit dem Geld der Bürger sparsam und wirtschaftlich umgehen. Fortan ging es um Wettbewerb auf der Seite der Anbieter.

Das Vergaberecht will Distanz

„Hoflieferantenbeziehungen“ will das heutige Vergaberecht ausdrücklich ausschließen, es wird bewusst eine Distanz zwischen öffentlichem Auftraggeber und dem privatwirtschaftlichen Auftragnehmer geschaffen. Alles andere, so die Überzeugung, würde Vetternwirtschaft und Korruption Tür und Tor öffnen.

Eine solche gewollte Distanz setzt voraus, dass Auftragnehmer klar vorgegebene Gewerke von Produkten und Dienstleistungen liefern, die einen definierten Nutzen stiften, indem sie klar definierte Ziele erfüllen. Für die Beschaffung standardisierter Produkte – Bleistifte, LED-Leuchtmittel, Klassenzimmerbestuhlung – mag das zutreffen. Schwieriger, wenn nicht gar unmöglich ist dies allerdings bei komplexen Gütern, beispielsweise der IT-Infrastruktur im Rathaus, kommunalen Kliniken oder dem öffentlichen Nahverkehrssystem. Hier können in vielen Fällen weder das Produkt noch der Nutzen beziehungsweise das durch die Beschaffung angestrebte Ziel bereits am Anfang des jeweiligen Ausschreibungsprojekts klar und abschließend definiert werden.

Das gilt umso mehr, als gerade hochwertige Anlageninvestitionen häufig im Rahmen von öffentlich-privaten Partnerschaften mit langen vertraglichen Laufzeiten realisiert und betrieben werden. Niemand wird sicher voraussagen können, wie sich die Nutzungsansprüche an das jeweilige Gut im Laufe der nächsten 10, 20 oder gar 30 Jahre verändern.

Wird die öffentliche Beschaffung nach bisherigem Muster den Anforderungen, wie sie sich heute der öffentlichen Hand stellen, noch gerecht? Genügt es, das Einkaufen und Ausschreiben Juristen und Verwaltungsbeamten zu überlassen, für die im Vordergrund die Frage steht: „Wie schreibe ich richtig aus?“ und erst an zweiter Stelle die Zieldefinition, also, was es mit der jeweiligen Beschaffung zu erreichen gilt? Es darf nicht vergessen werden, dass die öffentliche Beschaffung dem Haushaltsrecht entspringt, nicht der Betriebswirtschaftslehre.

Im privatwirtschaftlichen Sektor trägt Einkauf, soweit er als strategische Beschaffung verstanden und angewendet wird, zum Unternehmenserfolg bei. Dies nicht nur im Hinblick auf Einsparungen bei den Ausgaben für Rohwaren oder Zulieferteile, sondern auch bezüglich der Produktqualität. Zudem geht es um Innovation durch die Vernetzung in „intelligenten“ Lieferketten. Lediglich „einzukaufen“ und dabei nur den billigsten Preis erzielen zu wollen, führt im Gegenteil auf Dauer zum Qualitätsverlust.

„Nach vorn“ denken

Die klassische Aufgabenstellung der behördlichen Vergabestellen heute genügt dem nicht: Soll die Verwaltung innovativ und strategisch „nach vorne“ denken und managen, muss die öffentliche Beschaffung als ein effektiver Hebel gesehen werden. Der aber sei viel zu lange unberührt geblieben, sagt der Betriebswirtschaftler Dr. Michael Eßig, Professor an der Bundeswehruniversität München und Experte für Beschaffung und Supply Management.

Ein wesentlicher Handlungsspielraum und damit Einsparpotenziale für den Beschaffer liegen in den vor- und nachgelagerten Prozessschritten. Im Rahmen der Bedarfsfeststellung werden die wesentlichen Kostenbestandteile bestimmt, an dieser Stelle können auch Innovationen wirksam werden. Beschaffung könnte hier der Impulsgeber sein, wenn sie statt einer klassischen Vergabe Lieferanten-Know-how mithilfe des wettbewerblichen Dialogs oder in Public Private Partnerships nutzt. Im üblichen Vergabeverfahren, bei dem der Beschaffer nach Verfahrensstart nicht mit den Bietern in Kontakt treten darf, wird der hierzu notwendige Austausch zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer unterbunden.

Für Dr. Elisabeth Fröhlich, Professorin an der Cologne Business School für den Bereich Strategisches Beschaffungsmanagement, ist aber gerade der Lieferant der Schlüsselfaktor, um Innovationen in Organisationen zu tragen. Fröhlich plädiert dafür, die Qualifizierung von Lieferanten schon in der Lieferantenvorauswahl stattfinden zu lassen und einen kontinuierlichen Austausch zwischen Lieferant und Beschaffer zu fördern.

Wie in Unternehmen des privatgewerblichen Sektors wird es für die öffentliche Beschaffung der Zukunft ebenfalls darauf ankommen, durch die sogenannte Lieferantenentwicklung die Qualität der Leistung und sonstige Leistungsmerkmale im laufenden Vertragsverhältnis zu verbessern. Dem Auftraggeber gibt dieses Instrument die Möglichkeit, genauer über seinen Bedarf zu reflektieren und ihn gegebenenfalls anzupassen.

Der sich dadurch zwangsläufig ergebende engere Kontakt zwischen den Mitarbeitern des öffentlichen Auftraggebers und dem Lieferanten ist nicht ohne Risiken. Er könne leicht ein schlechtes Licht auf alle Beteiligten werfen und den Verdacht von Vetternwirtschaft, Korruption oder zumindest leichtgläubiger Abhängigkeit vom Lieferanten begründen, sagt Prof. Dr. Matthias Einmahl von der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen in Köln und Lehrbeauftragter im Masterstudiengang New Public Management der Fachhochschule Dortmund für das Modul öffentliche Beschaffung/Vergaberecht.

Einmahl plädiert dafür, der Gefahr durch konsequente Transparenz zu begegnen, indem etwa die beabsichtigte Lieferantenentwicklung in den Vergabeunterlagen angekündigt wird, die Kommunikation zwischen Auftraggeber und Lieferant nach klar definierten Regeln erfolgt und auch der gesamte Entwicklungsprozess genau dokumentiert wird.

Instrument der Innovationsförderung

Nicht minder wichtig ist, das vergaberechtliche Gebot der Produktneutralität zu beachten. Dieses wäre dann gefährdet, wenn der Auftraggeber sich in seiner Bedarfsfindung zu einseitig an dem ausrichtet, was er über die Vertragslaufzeit gemeinsam mit dem Lieferanten entwickelt. Dadurch würde er sich möglicherweise den Zugang zu alternativen, besseren Marktlösungen verschließen.

Beschaffung als Instrument der Innovationsförderung – zugunsten sowohl der Wirtschaft als auch des Staates – zu nutzen, ist auch das Ziel des Vergabeverfahrens der „Innovationspartnerschaft“. Dieses will seit 2016 der Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Auftraggebern und Lieferanten mit dem Ziel der Entwicklung und dem anschließenden Kauf bisher nicht am Markt vorhandener, innovativer Waren, Dienstleistungen und Bauleistungen die Türen öffnen. In Deutschland allerdings wird es bisher kaum genutzt. Das liegt zum einen an seiner Komplexität, zum anderen auch daran, dass Beschaffer der öffentlichen Hand sich vielfach noch schwertun, den Einkauf „strategisch“ zu sehen.

Wolfram Markus