Hafenwirtschaft: Von der Kaimauer bis ins Hinterland

Die umfassende volkswirtschaftliche Bedeutung der Hafenwirtschaft erschließt sich erst auf den zweiten Blick. Hinzuzurechnen sind die ergänzenden Dienst­leistungen sowie die in zweiter Instanz von See- und Binnenhäfen abhängigen Wirtschaftssegmente. Eine aktuelle Studie liefert belastbare Zahlen.

Das Bild des Hafens wird gemeinhin gleichgesetzt mit dem des klassischen Seehafens an der Küste. Er symbolisiert das Handels- und Umschlagzentrum für Güter aus aller Welt und hat lokal einen hohen wirtschaftlichen Stellenwert.

Doch die Gleichsetzung der Begriffe Hafen und Seehafen greift zu kurz, zum Beispiel hinsichtlich deren volkswirtschaftlicher Wirkungskraft. Die Bedeutung der Hafenwirtschaft für die gesamtdeutsche Wirtschaft erörtert das Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) in Bremen zusammen mit seinen Forschungspartnern in einer Studie für das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (s. Info unten).

Seehäfen sind Teil leistungsfähiger und hochentwickelter Transportketten. Zu den unmittelbar aus dem Hafenumschlag (Terminalbetrieb) und den komplementären Hafendienstleistungen (Hafenverwaltung, Lotsen, Schlepper, Festmacher) resultierenden Beschäftigungseffekten kommen die der logistischen Dienstleistungen im Hinterland. Die von der maritimen Transportkette abhängigen Unternehmen umfassen unter anderem Reedereien sowie Unternehmen des Speditions-, Transport- und Lagereigewerbes. Im Hinterland haben sich hierzu Logistikzentren entwickelt, über die der Vor- und Nachlauf im Seeverkehr abgewickelt wird.

Dies gilt in besonderem Maße für Binnenhäfen. Fast 300 Häfen mit Binnenschiffumschlag zählte das Statistische Bundesamt 2017. Mit ihrem kombinierten Leistungsangebot, das neben dem Transport per Wasserstraße und Straße oftmals auch den Schienentransport beinhaltet, stellen sie wichtige Drehkreuze im Hinterlandverkehr dar. Die Binnenhäfen sind darüber hinaus eigenständiger Teil der Hafenwirtschaft mit entsprechenden komplementären Hafendienstleistungen.

Die Häfen entlang des Rheins sind primär in die Transportketten der Westhäfen eingebunden. Nur geringe Anteile ihres Umschlags sind von den deutschen Seehäfen abhängig, jedoch werden sie als Binnenhäfen eigenständig erfasst. Durch ihre Funktion als Logistikdrehscheibe im Hinterland werden dadurch auch die maritimen Hinterlandverkehre mit holländischen und belgischen Häfen einbezogen.

Weitreichende Wertschöpfungskette

Zu der erweiterten hafenabhängigen Wirtschaft der See- und Binnenhäfen zählen zunächst die direkt umschlagabhängige Beschäftigung, die der ergänzenden Hafendienstleistungen und der hafenabhängigen Transportkette. Zusätzlich werden für die Bereiche die Investitionen und Vorleistungen (indirekte Effekte) ermittelt. Sie sind in der Studie ebenso berücksichtigt wie die Effekte, die aus den Konsumausgaben der Beschäftigten resultieren. Somit ergeben sich über alle Stufen rund 521.000 Beschäftigte der erweiterten hafenabhängigen Wirtschaft.

Unmittelbar durch den Hafenumschlag (See- und Binnenhäfen) und die komplementären Hafendienstleistungen werden 36.100 Menschen in Deutschland beschäftigt. Erst die Einbeziehung der Beschäftigungseffekte aus der abhängigen maritimen Transportkette sowie die indirekten und induzierten Multiplikatoreffekte generieren die zuvor dargelegten Werte.

Jedem direkt hafenabhängig Beschäftigten stehen in der abhängigen Transportkette vier Beschäftigte gegenüber. Hinzu kommen für die direkt Beschäftigten jeweils Vorleistungen und Konsumeffekte. Ein großer Teil dieser logistischen Tätigkeiten findet bereits in erheblicher räumlicher Entfernung zum Hafen statt. So ist zum Beispiel ein Distributionszentrum im Süden Deutschlands anteilig als indirekt hafenabhängig zu zählen, insoweit wie die Waren über einen deutschen See- oder Binnenhafen bezogen oder über sie weiterverschickt werden. Das gilt auch für die mit dem Nachlauf (respektive Vorlauf) beauftragten Transportunternehmen.

Instrument für regionalpolitische Entscheidungsträger

Die Systematik lässt sich um die von deutschen See- und Binnenhäfen abhängige Industrie erweitern. In jedem Wirtschaftszweig finden sich deutsche Unternehmen, deren Umsatz und Mitarbeiterzahl anteilig einer Exportaktivität zuzurechnen sind, die wiederum zumindest in Teilen auf die deutsche Hafenwirtschaft angewiesen sind.

Unter Einbeziehung von indirekten und induzierten Effekten ergeben sich daraus gesamtwirtschaftliche Effekte in Höhe von 968 Milliarden Euro Umsatz bei rund fünf Millionen Beschäftigten. Die exportorientierten Branchen des Maschinen- und Fahrzeugbaus, aber auch der Pharma- und Chemiesektor, sind auf die deutschen Häfen als Verbindungspunkt für ihre Abnehmer aus aller Welt angewiesen. Diese Wertschöpfung findet zu großen Teilen in Binnenländern statt.

Der methodische Ansatz der Studie ist nicht an gesamtwirtschaftliche Fragestellungen gebunden, auch regionale Betrachtungen sind sehr interessant. Eine entsprechende Berechnung auf Bundeslandebene ist möglich. Untersuchungen zu den wirtschaftlichen Effekten eines Hafens sind weitere Anwendungsbereiche. Auch wenn regionalisierte Betrachtungen durch die aufwendigere Datensammlung erschwert werden, sind sie ein wichtiges Instrument regionalpolitischer Entscheidungsträger, um die übergreifende Bedeutung leistungsfähiger See- und Binnenhäfen zu erfassen.

Thorsten Friedrich / Burkhard Lemper

Die Autoren
Thorsten Friedrich ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) in Bremen, Prof. Dr. Burkhard Lemper ist Geschäftsführer des ISL und Leiter des internationalen Studiengangs Shipping and Chartering an der Hochschule Bremen

Info: Warendrehscheibe Hafen

Der Arbeitsplatz von rund 520.000 Beschäftigten in Deutschland ist direkt oder indirekt von der Hafenwirtschaft abhängig. Dies geht aus einer aktuellen Studie des Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) hervor. Die Studie für das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur untersucht den Einfluss der Hafenwirtschaft auf die gesamtdeutsche Wirtschaft. Dem Warenfluss folgend, richtet sie den Blick auch ins Hinterland und die in zweiter Instanz abhängigen Wirtschaftssegmente. An der Untersuchung mitgearbeitet haben das Fraunhofer-Center für Maritime Logistik und Dienstleistungen (CML), das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML), das Forschungsunternehmen Economic Trends Research (ETR) und der Verkehrswissenschaftler Prof. Dr. Klaus Harald Holocher von der Jade-Hochschule Elsfleth/Oldenburg. Die „Untersuchung der volkswirtschaftlichen Bedeutung der deutschen See- und Binnenhäfen auf Grundlage ihrer Beschäftigungswirkung“ (2019) ist auf der Homepage des ISL verfügbar: www.isl.org/de/studienergebnisse (PDF-Download).