Grünflächen aktivieren in der Stadt

Viele Städte wachsen nach innen und an den Rändern. Teil der vorausschauenden Freiraumentwicklung sollten daher ganzheitliche Konzepte sein, um die Mehrfachnutzung von Grünflächen zu aktivieren. Auch die Straßen, Dächer und die Flächen der Wasserwirtschaft bieten Potenziale für ein Mehr an Grün.

Die Städte in vielen Regionen Deutschlands werden dichter. Sie wachsen nicht nur nach innen, sondern auch wieder an den Rändern. Für die Randzonen liegen meist keine Konzepte vor, wie Stadt und Landschaft gleichzeitig entwickelt werden sollen. Neue Flächen für die Bebauung werden daher selten aus Sicht der Landschaftsentwicklung ausgewählt, sondern eher aus pragmatischen Gründen wie Flächenverfügbarkeit und Erschließung. Eine auch an naturräumlichen Strukturen, an langfristigen Freiraumsystemen und Wegenetzen orientierte Entwicklung von Stadt und Landschaft bleibt da häufig auf der Strecke. Wenn die Städte an den Rändern wieder wachsen, dann sollten Freiflächenkonzepte eine Grundlage sein.

Da die Städte auch innen dichter werden und gleichzeitig die Stadtgesellschaft sich ändert, bedarf es einer Freiraumqualitätsoffensive. Zu lange wurde zu wenig in den Bestand und die Pflege der städtischen Freiräume investiert. In den 1970er-Jahren war die „Besitzergreifung des Rasens“ ein Novum. Heute ist es eine Selbstverständlichkeit, dass in Parks gelagert, Musik gemacht und ausgiebig gefeiert wird. Als sozialer Raum gewinnen die öffentlichen Grünräume vor allem in den dichten Stadtquartieren immer mehr an Bedeutung.

Sport erobert die Parks! Sport wird nicht mehr auf dem Sportplatz getrieben, sondern selbst organisiert im Grün der Stadt. Sport- und Bewegungskurse in den Parks werden über die Präventionsprogramme der Krankenkassen angeboten und finanziert (s. Bildergalerie). Die neuen Radschnellverbindungen verlaufen gerne durch die Grünräume der Stadt.

Der Klimawandel macht die Parks noch wichtiger. Wenn Parks zur Kühlung beitragen sollen, dann müssen sie viel Wasser verdunsten. Dafür sind offene Rasenflächen mit Einzelbäumen und Feuchtgebiete (engl.: wetlands) von besonderer Bedeutung. Die Ränder müssen offen sein, damit die kühlere Luft in die Stadtquartiere gelangen kann. Bei Starkregen sollen Grünflächen als zusätzlicher Retentionsraum dienen und Notwasserwege aufnehmen. Zudem sollen Parks strukturreich und biodivers sein, denn das Insektensterben und der Verlust an Artenvielfalt sind als gesellschaftlich relevante Themen angekommen.

Begehrte Grünflächen

Das Grün der Stadt ist vergleichbar einer „eierlegenden Wollmilchsau“, einem Multitalent, in dem Soziales, Gesundheit, Ökologie, Klimaanpassung und Baukultur zusammenkommen (s. Bildergalerie). Die Grünflächen müssen als mehrdimensionaler und multicodierter Raum verstanden werden, der die vielfältigen Interessenlagen und Ansprüche aufnimmt und überlagert. Hierfür bedarf es guter Konzepte und vor allem auch einer Verständigung über die Vorgehensweisen. Wer ist zuständig und finanziert den Radwegebau mit der Beleuchtung? Wer säubert den Park (Retentionsraum) nach einem Starkregen? Mit der dichter werdenden Stadt wird der Nutzungsdruck erhöht, wer bezahlt den höheren Pflegeaufwand?

Die Grünflächenämter der Städte können nach den radikalen Sparmaßnahmen diesen Mehraufwand selten finanzieren und müssen bremsen. Damit wird ein erhebliches Potenzial an mehr Qualität durch Multicodierung verschenkt. Es bedarf daher einer ausreichenden Finanzierung der städtischen Grünflächenpflege. Hamburg verfolgt diese Strategie der Freiraumqualifizierung mit bezirklichen Konzepten. Berlin erarbeitet derzeit eine Charta für das Stadtgrün, in der eine solche Freiraumqualitätsoffensive vorbereitet wird.

Aber nicht nur die Grünflächen sollten nach den Prinzipien der Multicodierung entwickelt werden, sondern vor allem auch die grauen Infrastrukturflächen wie Straßenräume und Stellplätze sowie die Flächen der Wasserwirtschaft oder auch die Dächer der Stadt.

Voraussetzung ist, dass die eindimensional geplanten Infrastrukturen multicodierter werden. Die Eindimensionalität wird in eine Mehrdimensionalität überführt und das Grün gleich mitgedacht. Das ist meist einfacher gesagt, als in der Praxis umgesetzt.

Die Straßen bieten ein erhebliches Potenzial, um die Städte grüner zu machen. Vor allem in den großen Städten zeichnet sich der Trend „Weg vom Auto“ deutlich ab. Der Führerschein mit 18 Jahren ist nicht mehr ein Muss. Bei der jungen Generation steht das eigene Auto in der Werteskala auch nicht mehr ganz oben. Kein Wunder, dass die Denkfabriken der großen Autohersteller nicht mehr allein über das Auto, sondern über intermodale, vernetzte Mobilitätsangebote forschen, die flexibel und auf den jeweiligen Lebensstil zugeschnitten sind.

Mit dem veränderten Gebrauch des Autos sind weitere Effekte verbunden. Wenn, wie in Berlin und Hamburg, die Stellplatzverpflichtung für Kraftfahrzeuge bei Neubau aufgehoben wird, kann versiegelte Fläche oder viel Geld gespart und somit das Wohnen in den Städten günstiger werden. Ein Stellplatz mit Zufahrt versiegelt 20 bis 30 Quadratmeter, ein Tiefgaragenplatz kostet 20.000 bis 30.000 Euro zuzüglich der jährlich anfallenden Betriebskosten. Und auch der Lärmschutz und die Luftreinhaltung erfordern ein Umdenken.

Mit dem Mobilitätswandel können Straßen umgebaut werden. Es gibt Platz für mehr Bäume, mehr Aufenthaltsflächen, mehr Flächen für das dezentrale Regenwassermanagement und für die Hitzevorsorge. Da der Umbau von Infrastrukturen ein äußerst langwieriger Prozess ist, muss frühzeitig begonnen werden.

Berlin-Tegel interpretiert die Straße neu

Im Schumacher-Quartier in Berlin-Tegel (s. Bildergalerie) zum Beispiel werden neue Straßen geplant, die als solche nicht mehr erkennbar sind. Das Regenwasser wird zurückgehalten und verdunstet. Der Straßenraum wird als eine Aneignungszone für die Bewohner interpretiert. Straßen werden Ort der Nachhaltigkeit und des Wohlfühlens.

Im Forschungsprojekt „BlueGreen Streets“ (Schwerpunkt Ressourceneffiziente Stadtquartiere der Zukunft) des Bundesforschungsministeriums (BMBF) wird untersucht, wie Bestandsstraßen wassersensibel, klimaangepasst und grüner umgebaut werden können. In Kooperation mit mehreren Städten werden Konzepte entwickelt, wie bestehende Straßen transformiert werden können. Ein multicodierter Straßenraum wird entworfen.

Um diese Potenziale der Mehrfachnutzung der grünen und grauen Flächen zu aktivieren, um die Freiraumsysteme in der dichten Stadt und auch an den Rändern vorausschauend zu planen, bedarf es langfristiger Perspektiven. Daher sind Städte gut beraten, gesamtstädtische Freiraumkonzepte zu erstellen. Städte wie Berlin, München, Nürnberg, Erlangen oder Mannheim haben solche Konzepte erarbeitet und setzen diese zum Teil mit Aktionsplänen um.

Das Förderprogramm „Zukunft Stadtgrün“ vom Bundesministerium des Innern, Bau und Heimat wurde in einigen Städte genutzt, um genau solche integrierte Grünkonzepte zu entwickeln. Die Abschaffung des Programms ist ein Zeichen, das genau in die falsche Richtung zeigt.

Carlo W. Becker

Der Autor
Dr. Carlo W. Becker ist Geschäftsführer von BGMR Landschaftsarchitekten in Berlin