EU-Kunststoffrichtlinie: Kehren kostet künftig

Das Thema „Vermüllung und Littering“ genießt eine wachsende politische Aufmerksamkeit. Die neue EU-Kunststoffrichtlinie sieht vor, die Hersteller von Einwegkunststoffprodukten wie Zigarettenkippen und To-go-Becheran den kommunalen Reinigungs- und Entsorgungsleistungen zu beteiligen.

Die Gewährleistung von Stadtsauberkeit und Maßnahmen gegen die Vermüllung des öffentlichen Raums wurden bislang ausschließlich als Aufgaben der Städte und Gemeinden und ihrer Reinigungsbetriebe begriffen, sofern nicht die Anlieger selbst in die Reinigungspflicht genommen werden. Die Kosten der kommunalen Straßenreinigung werden dabei teilweise über Gebühren und teilweise über die kommunalen Haushalte finanziert, wobei sich bundesweit betrachtet ein sehr buntscheckiges Bild ergibt – auch als Ausfluss des Prinzips der kommunalen Selbstverwaltung und der Zuständigkeit der Länder für das Straßenreinigungsrecht.

Die „Stadtsauberkeit“ war für den Bund bislang kein Thema, er fokussierte sich entsprechend seiner Gesetzgebungskompetenz auf die Abfallwirtschaft. Schon gar nicht sah sich die kommunale Straßenreinigung als Gegenstand europäischer Regulierungen, man bewegte sich vielmehr jahrzehntelang unter dem Radar von Kommission, Rat und Europäischem Parlament.

Doch dies ändert sich nun und die Tragweite der von der EU jüngst angestoßenen Gesetzgebung rückt nur allmählich in das allgemeine Bewusstsein. Ausgangspunkt sind dabei die Kunststoffabfälle, die immer stärker als drängendes Umweltproblem wahrgenommen werden und dabei in Deutschland selbst den Klimawandel hinter sich gelassen haben. Die Vermüllung der Umwelt und insbesondere der Meere mit Plastik ist als Umweltproblem allgegenwärtig und lenkt den Blick auf alle potentiellen Eintragspfade. Hier kommt nun auch das Littering von Einwegprodukten aus Kunststoff auf die Agenda der europäischen Gesetzgebung. Mit der Einwegkunststoffrichtlinie (EU 2019/904) vom 5. Juni 2019 hat Europa einen entscheidenden Schritt zur Umsetzung der eigenen Kunststoffstrategie unternommen und der Ende 2019 vorgelegte „Green Deal“ der EU-Kommission kündigt weitere Maßnahmen bezogen auf Einwegkunststoffprodukte an.

Die Einwegkunststoffrichtlinie der EU

Die Europäische Kommission hat sich dem Thema der Kunststoffabfälle systematisch vom Problem der Meeresvermüllung her angenähert. Ausgangspunkt waren dabei Müllzählungen an europäischen Stränden, die ergeben haben, dass 80 bis 85 Prozent des Meeresmülls in der Europäischen Union Kunststoffe sind, wobei es sich zu 50 Prozent um Einwegkunststoffartikel und zu 27 Prozent um Gegenstände handelt, die mit der Fischerei zusammenhängen.

Die Kunststoffrichtlinie konzentriert sich dabei auf diejenigen Einwegkunststoffprodukte, die am häufigsten an den europäischen Stränden gefunden wurden. Eine besondere Bedeutung kommt dabei den kunststoffhaltigen Zigarettenfiltern zu, die am zweithäufigsten an den Stränden Europas gefunden wurden. Zigarettenkippen stellen auch die kommunale Straßenreinigung regelmäßig vor besondere Herausforderungen.

Mit den neuen europäischen Regelungen für Zigarettenkippen, die insbesondere eine Beteiligung der Hersteller an den kommunalen Reinigungskosten und an den Kosten für öffentliche Aschenbecher vorsehen, sollen die enormen Umweltauswirkungen dieser Abfallfraktion verringert werden. Dabei wird erwartet, dass Innovation und Produktentwicklung sinnvolle Alternativen für kunststoffhaltige Filter hervorbringen werden.

Kosten mit Lenkungswirkung

Im Ergebnis muss es also darum gehen, eine Kostenanlastung bei den Herstellern bezüglich der kommunalen Reinigungsaufwendungen zu erreichen, die eine Lenkungswirkung erzielt und die Tabakindustrie dazu veranlasst, andere – zum Beispiel vollständig und kurzfristig biologisch abbaubare – Filter zu entwickeln oder den Tabakkonsum über Mehrweglösungen zu ermöglichen. Dies wird jedoch nur gelingen, wenn die Kostenanlastung spürbar ist und denjenigen Produzenten einen Wettbewerbsvorteil verschafft, die ohne Kunststofffilter auskommen. Erreichen ließe sich dies etwa durch einen „Reinigungscent“, der auf jeden verkauften Kunststofffilter aufgeschlagen wird.

Ebenso im Fokus der Kunststoffrichtlinie sind die stark wachsenden To-go-Verpackungen, wie insbesondere To-go-Kaffeebecher. Erfasst werden von der Richtlinie Fast-Food-Verpackungen oder Boxen für Mahlzeiten, Sandwiches, Wraps und Salat, oder Lebensmittelbehälter für frische oder verarbeitete Lebensmittel, die keiner weiteren Verarbeitung bedürfen wie Obst, Gemüse oder Desserts. Auch hier sind künftig Finanzierungsbeiträge der Hersteller für kommunale Reinigungsaktionen, öffentliche Erfassungssysteme und Sensibilisierungsmaßnahmen zu erheben.

Die Finanzierungsbeiträge sollen die Kosten, die für die effiziente Bereitstellung dieser Dienstleistungen erforderlich sind, nicht übersteigen und zwischen den betroffenen Akteuren auf transparente Weise festgelegt werden. Darüber hinaus sind die Mitgliedsstaaten ermächtigt, die Herstellerbeiträge in Form von angemessenen mehrjährigen festen Beträgen festzulegen, um die Verwaltungskosten so niedrig wie möglich zu halten. Die Herstellerfinanzierung kann also auch in pauschalierter Form erfolgen, um den Aufwand einer Einzelabrechnung in jeder Kommune zu ersparen.

Der Umsetzungsprozess in Deutschland

Die Umsetzung der EU-Kunststoffrichtlinie in nationales Recht, die bis zum 3. Juli 2021 erfolgen muss, wird die deutsche Gesetzgebung intensiv fordern. Denn ein Merkmal der Richtlinie ist, dass sie „quer“ zu den bereits bestehenden Regelungen liegt. Denn zum einen werden sowohl Verpackungs- als auch Nichtverpackungsabfälle aus Kunststoff adressiert. Zum anderen muss sich der Bund nunmehr einer Materie annehmen, die bislang allein durch die Länder und Kommunen geregelt wurde, nämlich die Finanzierung kommunaler Reinigungsleistungen.

Zunächst geht es aber darum, eine Datenbasis für die rechtliche Umsetzung zu erarbeiten. Denn bislang war nicht bekannt, welche Kosten den kommunalen Stadtreinigungsbetrieben durch Einsammlung und Entsorgung bestimmter Einwegkunststoffprodukte im öffentlichen Raum überhaupt entstehen. Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) hat daher gemeinsam mit dem INFA-Institut aus Ahlen ein Verbundvorhaben aufgesetzt, in dem in zahlreichen, repräsentativ ausgewählten Kommunen in Deutschland die Zusammensetzung der Abfälle aus Straßenpapierkörben, Sinkkästen und Kehrmaschinen analysiert wird.

Dabei wird produktscharf ermittelt, welche Anteile die von der Kunststoffrichtlinie umfassten Einwegprodukte in den einzelnen Erfassungssystemen ausmachen und welche Kosten ihnen im Ergebnis zuzurechnen sind. Auf diesem Weg können schließlich bundesweit gültige Durchschnittswerte gebildet werden, die zur Basis der von der Richtlinie vorgesehenen Erstattungspauschalen gemacht werden können. Auch die EU-Kommission wird Leitlinien für die Ermittlung von Reinigungskosten veröffentlichen.

Für die gesetzgeberische Umsetzung der Kunststoffrichtlinie hat der Bundesrat in einer Entschließung vom 8. November 2019 (343/19) bereits klare Anforderungen formuliert. Danach wird die Bundesregierung aufgefordert, die Produktverantwortung der Inverkehrbringer von Einwegverpackungen für Speisen und Getränke zum Außer-Haus-Verzehr auf die Entsorgung dieser im öffentlichen Raum anfallenden Verpackungen auszuweiten. Außerdem soll sie die gesetzlichen Regelungen dahingehend ändern, dass die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger von den Systemen ein angemessenes Entgelt für die Sammlung von Serviceverpackungen aus dem öffentlichen Raum verlangen können. Damit ist ein Umsetzungsprogramm vorgezeichnet, das – jedenfalls hinsichtlich der Einwegverpackungen – problemlos an bestehenden Regelungen des Verpackungsgesetzes (VerpackG) anknüpfen könnte.

Regelungsoptionen im Verpackungsgesetz

Denkbar ist insoweit eine Erweiterung der in Paragraf 22 Abs. 9 VerpackG geregelten Nebenentgelte auf die von der Kunststoffrichtlinie umfassten Aufwandspositionen. Ein solcher Ansatz wäre auch deshalb schlüssig, weil in Paragraf 22 Abs. 9 VerpackG bereits die kommunale Reinigung des Umfelds von Sammelcontainern insbesondere für Glasflaschen der Herstellerfinanzierung zugeordnet wird. Damit gibt es bereits im Verpackungsgesetz einen Mechanismus der Finanzierung von kommunalen Reinigungsleistungen durch die Systeme, auf den die Umsetzung der Kunststoffrichtlinie – jedenfalls bezüglich der Einwegkunststoffverpackungen – aufsetzen könnte.

Dabei wird die Frage eine wichtige Rolle spielen, ob die EU-Kunststoffrichtlinie nur eins zu eins, also unter anderem nur bezogen auf die in den Anhängen der Richtlinie explizit aufgeführten Einwegkunststoffprodukte, in nationales Recht umgesetzt werden soll und ob sich namentlich nur Einwegverpackungen aus Kunststoff an kommunalen Litteringkosten beteiligen sollen. Eine solche Eins-zu-eins-Umsetzung der Kunststoffrichtlinie hätte jedoch gerade im Gefüge des VerpackG deutliche Systembrüche zur Folge und würde insbesondere das Risiko von Verlagerungseffekten und Fehlsteuerungen in sich bergen.

Im Falle einer Eins-zu-eins-Umsetzung müssten sich nur Einwegverpackungen aus Kunststoff an kommunalen Reinigungs- und Litteringkosten beteiligen, sonstige Einwegverpackungen, die ebenfalls regelmäßig im öffentlichen Raum als Abfall anfallen, hingegen nicht. Eine solche Unterscheidung widerspräche der in Paragraf 22 Abs. 3, 4 und 9 VerpackG zum Ausdruck kommenden Ratio des VerpackG, verpackungsbedingte Entsorgungskosten aus den kommunalen Gebührenhaushalten auszusondern, da die Entsorgung bereits durch die Entrichtung von Lizenzentgelten bezahlt wurde.

Mit anderen Worten müsste für den in einem Straßenpapierkorb entsorgten Pizzakarton weiterhin der Gebührenzahler aufkommen (der damit die Entsorgung doppelt bezahlt), während für die Entsorgung einer Salatschale aus Plastik die Hersteller im Wege der erweiterten Herstellerverantwortung nach Art. 8 der Kunststoffrichtlinie aufzukommen hätten.

Materialunabhängige Betrachtung

Eine solche Differenzierung ist insbesondere deshalb nicht sinnvoll, weil inzwischen zahlreiche Kommunen mit dem Gedanken einer Verpackungssteuer auf Einwegverpackungen liebäugeln, wie sie jüngst durch die Universitätsstadt Tübingen beschlossen wurde. Die Tübinger Verpackungssteuer zielt auf eine Reduzierung des Verpackungsmülls durch To-go-Einwegverpackungen, -geschirr und -besteck im öffentlichen Raum und verfolgt damit das gleiche Anliegen wie die Kunststoffrichtlinie der EU, nur, dass Letztere den Schwerpunkt auf Einwegprodukte aus Kunststoff legt.

Bei der nationalen Umsetzung der EU-Kunststoffrichtlinie sollte jedoch das richtige Anliegen der Kommunen aufgegriffen werden, Einwegverpackungen für den Unterwegsverzehr materialunabhängig mit Kosten zu belasten, sie auf diesem Wege zurückzudrängen und zudem die Finanzierungsgrundlagen der kommunalen Straßenreinigung zu verbessern. Eine bundesgesetzliche Regelung, die die Anlastung von Reinigungskosten allein für Einwegverpackungen aus Kunststoff vornimmt, würde wohl einen Flickenteppich von kommunalen Verpackungssteuern auf Einwegverpackungen aus Nicht-Kunststoffen provozieren.

Verzichten die Kommunen hingegen auf eigene Verpackungssteuern, würden für Einwegverpackungen aus Nicht-Kunststoffen weiterhin die Gebührenzahler doppelt zur Kasse gebeten, soweit diese im öffentlichen Raum als Abfall anfallen. Beide Szenarien würden die eigentlich zu verfolgenden Umweltziele, nämlich die Entlastung der Umwelt von Einwegverpackungsabfällen sowohl aus Kunststoff als auch aus anderen Materialien, deutlich verfehlen.

Für die von der Kunststoffrichtlinie umfassten Nicht-Verpackungsabfälle – namentlich die Zigarettenkippen – wird im aktuellen Entwurf der Novellierung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes schließlich eine Verordnungsermächtigung vorgesehen. Nach Paragraf 23 Abs. 2 Nr. 10 KrWG-E umfasst die Produktverantwortung insbesondere auch die Beteiligung an den Kosten, die den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern (und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts) für die Reinigung der Umwelt und die umweltverträgliche Verwertung und Beseitigung jener Abfälle entstehen, die aus dem Gebrauch der von ihnen in Verkehr gebrachten Erzeugnisse resultieren.

Leistungsabhängige Verteilung der Mittel

Auch im Kontext des KrWG ist es wichtig, das Thema „Littering“ materialunabhängig anzugehen, um insbesondere Ausweichstrategien auf ökologisch zweifelhafte Alternativprodukte vorzubeugen sowie um den Kommunen Planungs- und Kalkulationssicherheit hinsichtlich der Finanzierungsbeiträge der Hersteller für ihre Reinigungsaufwendungen zu verschaffen.

Für die kommunale Stadtreinigung ergibt sich die Chance, zusätzliche Ressourcen für den eigenen Leistungsauftrag zu erhalten. Die Auskehrung der Mittel könnte dabei so organisiert werden, dass diese leistungsabhängig erfolgt, also zum Beispiel in Abhängigkeit von der Dichte öffentlicher Straßenpapierkörbe. Wichtig ist dabei, dass die Umsetzung der EU-Kunststoffrichtlinie mit dem übergreifenden Umweltziel verwoben wird, Einwegverpackungen jedweder Materialzusammensetzung zurückzudrängen und kommunale Reinigungskosten den besonders litteringaffinen Produkten zuzuweisen. Auch die Logik des VerpackG spricht für eine Zuordnung der verpackungsbedingten Reinigungs- und Litteringkosten namentlich zu den Serviceverpackungen, die regelmäßig als Abfall im öffentlichen Raum anfallen.

Holger Thärichen

Der Autor
Dr. Holger Thärichen ist Geschäftsführer der Sparte Abfallwirtschaft und Stadtsauberkeit VKS des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) in Berlin