Eine gelungene Digitalisierung der Bildung

Ralf Koenzen ist Gründer und Geschäftsführer von Lancom Systems, einem Hersteller von Netzwerk- und Security-Lösungen mit Sitz in Würselen bei Aachen.

Der plötzliche Lockdown während der Corona-Krise und das damit verbundene „Home Schooling“ – das Lernen von zu Hause aus – hat Schüler, Eltern, Lehrer und Schulen vor eine gewaltige Herausforderung gestellt. Ralf Koenzen, Geschäftsführer von Lancom Systems, einem Hersteller von Netzwerk- und Security-Lösungen, spricht im Interview über seine Sicht auf die Reaktion der Schulen während dem Beginn der Pandemie und was mit Blick auf die Zukunft von den Schulträgern noch verbessert werden kann.

 

 

Treffpunkt Kommune: Herr Koenzen, Schulleiter, die sich selbst für die hohe Digitalkompetenz ihrer Bildungseinrichtung und für eine fast reibungslose Umstellung auf den „Remote-Unterricht“ loben, Eltern dagegen, die verzweifelt konstatieren mussten, wie steinzeitlich „Online-Unterricht“ an vielen Schulen aufgezogen wird – mit drögen Aufgabenblättern per PDF, ohne Herzblut der Lehrer für das Ausprobieren digitaler Lernangebote und ohne einen einzigen Videokontakt zu den Schülern über viele Wochen hinweg. Leben wir in Deutschland, was den Blick auf die digitale Schule angeht, auf zwei verschiedenen Sternen?

 

Ralf Koenzen: Corona hat sowohl Wirtschaft als auch Politik und Zivilgesellschaft kalt erwischt. Niemand kann ernsthaft behaupten, Pläne für einen solchen Lockdown in der Schublade gehabt zu haben. Insofern ist die Kritik, wie sie derzeit auf unsere Schulen einprasselt, in meinen Augen undifferenziert und pauschal so nicht gerechtfertigt. Wie im normalen schulischen Alltag gibt es auch während der Pandemie unglaublich engagierte Lehrerinnen und Lehrer, die mit bewundernswertem Einsatz und Improvisationsgeist ihre Schülerinnen und Schüler beim Home Schooling unterstützen und in Kontakt bleiben.

 

Wo sehen Sie Mängel bei der digitalen Beschulung, die durch den Corona-bedingten Verzicht auf Präsenzunterricht offenbar wurden?

 

Ralf Koenzen: Wenn wir in der Vergangenheit über die Digitalisierung der Bildung gesprochen haben, ging es in der Regel darum, den Präsenzunterricht digital gestützt zu modernisieren. Folgerichtig sieht auch der Digitalpakt Schule an erster Stelle die Ausstattung der Schulen mit digitaler Infrastruktur vor, also Schul-WLAN, Whiteboards und ähnliches. Es ging zu keinem Zeitpunkt darum, Schulen für langfristiges Home Schooling zu rüsten. Von „Mängeln“ zu sprechen halte ich daher für nicht angemessen.

Aber: Wir müssen aus der aktuellen Situation lernen und digitale Bildung ganzheitlicher denken. Natürlich primär mit Präsenzunterricht im Klassenzimmer, der für die Sozialisation unserer Kinder und für den Klassenzusammenhalt unverzichtbar ist und Standard sein sollte.

Mittlerweile wissen wir aber auch, dass Pandemien kein Thema aus den Geschichtsbüchern sind. Dass wir damit rechnen müssen, dass sich eine Situation wie der Covid-19-Lockdown durchaus wiederholen kann – auch wenn sich dies niemand wünscht. Es wäre daher wichtig, über einen „Digitalpakt 2.0“ zusätzliche Mittel für nachhaltige Home Schooling-Konzepte zur Verfügung zu stellen.

 

Und die andere Seite: Ist Ihrer Erfahrung nach auch etwas gut gelaufen in den Wochen des „Home Schooling“?

 

Ralf Koenzen: Als Vater zweier schulpflichtiger Kinder sehe ich täglich, wie wir alle uns nach dem normalen Schulbetrieb zurücksehnen – Eltern wie Kinder gleichermaßen. Das gemeinsame Lernen mit Gleichaltrigen unter pädagogischer Anleitung ist in meinen Augen durch nichts zu ersetzen.

Wie in der Wirtschaft auch, hat jedoch der Lockdown den Nutzen von Digitalisierung in der Bildung so sichtbar gemacht wie nie zuvor und in den Fokus einer breiten Öffentlichkeit gerückt. Es bleibt zu hoffen, dass daraus ein nachhaltiger Digitalisierungswille entsteht, der auch die Skeptiker mitreißt.

 

Was lässt sich für die Schulen und die Kommunen als Schulträger aus der Corona-Zeit lernen?

 

Ralf Koenzen: Ich denke, da geht es Schulen und Trägern genauso wie der Wirtschaft. Gerade in Krisen ist es wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren und zunächst ein tragbares und auch verlässliches Konzept zu entwickeln. Dann findet sich auch genügend Zeit, geeignete Tools auszuwählen und zu evaluieren und die Betroffenen – in dem Fall die Lehrerinnen und Lehrer – im Umgang damit zu schulen.

 

Einen Lernprozess wird es womöglich auch bezüglich der Frage geben müssen, ob Schulen künftig für den Online-Austausch noch auf Lösungen von Anbietern zurückgreifen dürfen, die nicht der europäischen Datenschutz-Grundverordnung unterworfen sind. Wie kritisch sehen Sie den Einsatz von Google Classroom, Zoom & Co., von unsicheren Komponenten für Schulnetzwerke und privaten Notebooks der Lehrer?

 

Ralf Koenzen: Eine gelungene Digitalisierung der Bildung erfordert eine aktive Auseinandersetzung mit dem Thema Datenschutz. Denn gerade in der „digitalen Schule“ ist die DSGVO keine Hürde, sondern eine Chance. Nämlich dafür, Schule auch im Digitalen als geschützten Raum zu erhalten und die Rechte von Kindern und Jugendlichen auf Privatheit zu wahren.

Insofern ist es extrem bedenklich, dass Lösungen wie Zoom überhaupt im Unterricht zum Einsatz kommen – auch wenn ich die individuelle Motivation und die große Not vieler Schulen aufgrund des Lockdowns durchaus nachvollziehen kann. Aber: Datenschutz ist nicht verhandelbar! Erst recht nicht bei Kindern und in der Schule. Und, das werde ich nicht müde zu betonen: es gibt datenschutzkonforme Alternativen. Diese haben nur leider oft nicht dieselbe Sichtbarkeit und Marketing-Power wie die Lösungen großer Tech-Konzerne aus dem Nicht-EU-Ausland und drängen sich daher nicht so auf. Eine erste gute Anlaufstelle kann hier die Open Source Business Alliance sein: Sie hat im Netz eine Liste DSGVO-konformer Software-Lösungen für das Home Schooling zusammengestellt, Videokonferenz- und Collaboration-Tools inklusive.

Für die Lehrer wiederum möchte ich eine Lanze brechen. Wenn wir es ernst mit der Digitalisierung der Bildung meinen, brauchen auch sie eine professionelle Ausstattung einschließlich Dienst-PC. Private Laptops haben in Schulen genauso wenig zu suchen, wie in Firmennetzen.

 

Ist bei den Schulverantwortlichen Ihrer Meinung nach die Sensibilität für dieses Thema vorhanden?

 

Ralf Koenzen: Wir haben den Eindruck, dass die Verantwortlichen vor Ort beim Datenschutz von der Politik im Stich gelassen werden. Es wäre so viel einfacher, wenn von den Kultusministerien klare Leitlinien in Sachen „datenschutzkonforme Infrastruktur“ kämen, anstatt dass jeder Schulträger – bei identischen rechtlichen Rahmenbedingungen – von Null anfangen müsste. Ein gutes Mittel wären auch Warenkörbe mit Musterlösungen, die im Hinblick auf die besonderen Schutzbedürfnisse der Schülerinnen und Schüler geprüft und als DSGVO-konform befunden wurden – oder ganz simple Positivlisten entsprechender Produkte. Mit ihnen ließe sich dann dauerhaft eine rechtssichere Nutzung sicherstellen, ohne dass die Schulleitung zum „technischen Datenschutzexperten“ werden muss.

 

Etwas richtig machen zu können, bedeutet auch, die geeigneten Lösungen verfügbar zu haben. Im konkreten Fall der DSGVO-konformen digitalen Schule also von Software und Hardware, die den einschlägigen Vorschriften entspricht. Sind solche Lösungen in Deutschland durchgängig am Markt zu erhalten?

 

Ralf Koenzen: Absolut. Ob Plattformen, Messenger, Cloud-Dienste – oder, wie in unserem Fall, WLAN- und Netzwerkkomponenten: Für all diese Lösungen gibt es technisch hervorragende Angebote von europäischen Herstellern, die hiesigem Datenschutzverständnis Rechnung tragen und den Schulen einen rechtssicheren Betrieb ihrer digitalen Lernumgebung ermöglichen.

Wichtig ist, dass sich Schulträger bei der Vorbereitung ihrer Ausschreibungen darüber im Klaren sind, dass bereits bei der Basisinfrastruktur eine Datenschutz-Folgenabschätzung gemacht werden muss. Oft scheint nicht klar zu sein, dass beispielsweise ein Schul-WLAN nicht nur aus Hardware in Form von Access Points besteht, sondern auch aus einem Management-System, in dem auch personenbezogene Daten verarbeitet werden. Kommt dieses aus dem Nicht-EU-Ausland und obendrein noch aus der Cloud, wird es schnell problematisch.

 

Wie stark werden solche Lösungen „Made in Germany“, die DSGVO-konform sind, nachgefragt?

 

Ralf Koenzen: Das variiert enorm von Bundesland zu Bundesland und von Träger zu Träger. Wir sehen viele Ausschreibungen, in denen Datenschutz und IT-Sicherheit einen hohen Stellenwert haben. Hier können wir als deutscher Hersteller mit unseren Lösungen, Update-Garantien, höchster Verschlüsselung und deutschem Rechenzentrum sehr gut punkten.

Dem gegenüber stehen erschreckend viele Ausschreibungen, die den Grundsatz der Produktneutralität missachten und explizit WLAN Access Points listen, die sich schlicht nicht DSGVO-konform betreiben lassen. Das betrifft meist Lösungen aus dem Nicht-EU-Ausland, die über einen Cloud-Dienst verwaltet werden.

 

Was sagt das Vergaberecht zum Thema DSGVO-Konformität im Zusammenhang mit der Ausschreibung von Schulnetzwerken? Laufen Kommunen, die hier nicht aufpassen und „beliebig“ einkaufen Gefahr, staatliche Fördermittel etwa aus dem Digitalpakt Schule zurückzahlen zu müssen, wenn die Schul-IT nicht sicher ist?

 

Ralf Koenzen: Die vergaberechtliche Situation ist eindeutig. Der Grundsatz der Datenschutzkonformität ist bereits in der Präambel der „Verwaltungsvereinbarung Digitalpakt Schule“ festgeschrieben. Konkret heißt dies, dass die Fördermittel ausschließlich in DSGVO-konforme Hard- und Software fließen dürfen. Damit müssen Schulträger, die die Datenschutzkonformität nicht sicherstellen, mit einer Rückforderung der Zuwendungen rechnen. Im Fall des Schul-WLAN würde das heißen: Access Points wieder abmontieren, Tausende von Euros zurückzahlen – und zurück in die Kreidezeit. Ein Risiko, dass ich als Verantwortlicher nicht eingehen würde. Umso erstaunlicher, dass der Datenschutz in vielen WLAN-Ausschreibungen überhaupt keine Rolle spielt.

 

Interview: Jörg Benzing