Die Stimme der Bürger

Auf kommunaler Ebene kommt die Politik den Bürgern am nächsten. Doch auch in den Rathäusern ist die Frustration vieler Wähler spürbar. Lässt sich mit Partizipation und Amtszeitbegrenzung Vertrauen zurückgewinnen? Der Politik­wissenschaftler Ulrich Eith erörtert in seinem Beitrag diese Frage.

Politik- und Parteiverdruss sind wahrlich keine neuen Phänomene. Und doch verdeutlicht der nahezu europaweite Erfolg von Rechtspopulisten auf allen Ebenen, wie anfällig die voraussetzungsvollen Demokratien letztlich sind. Urplötzlich gerät die offene Gesellschaft, wie sie Karl Popper beschrieben hat, als die Garantin individueller Menschen- und Freiheitsrechte durch altes Stammes­denken, durch nationalistisches und kulturell-religiöses Gruppendenken in die Defensive. Und die sprachliche Rigidität der sogenannten Wutbürger hat die Spielregeln kontroverser politischer Streitgespräche inzwischen weit hinter sich gelassen.

Sicherlich weisen gerade die politischen Institutionen in den Kommunen die größte Nähe zu Bürgern auf. Gleichwohl sind auch sie keineswegs immun gegenüber den Auswirkungen von Frustration und Entfremdung. Zu fragen ist daher, ob die aktuellen Diskussionen um Bürgerbeteiligung und Amtszeitbegrenzungen einen erfolgversprechenden Beitrag zu kommunaler politischer Stabilität und responsiver Politikgestaltung leisten können.

Politische Beteiligung der Bürger umfasst drei Formen. Erstens die Beteiligung durch repräsentative Verfahren in Form von allgemeinen Wahlen, zweitens die Möglichkeit und Nutzung direktdemokratischer Entscheidungen sowie drittens eine große Bandbreite an Verfahren zur Bürgerbeteiligung, öffentlichen Diskussion und Mitbestimmung. Der Wunsch nach politischer Beteiligung über die regelmäßigen Wahlen hinaus ist bei Bürgern weit verbreitet. Und gerade auf kommunaler Ebene finden sich in den Bundesländern durchaus praktikable rechtliche Voraussetzungen zur direktdemokratischen Einflussnahme sowie vielfache Erfahrungen mit partizipatorischen Formaten.

Machtpolitisches Kalkül

Zugleich belegen aktuelle Untersuchungen aber eine nach wie vor große, mehrheitliche Skepsis von Gemeinderatsmitgliedern und gerade auch von Bürgermeistern und Oberbürgermeistern gegenüber weiterreichenden Beteiligungsformen. Neuere Studien (von Norbert Kersting und Sebastian H. Schneider wie auch von Florian Ruf, Eva Krummenauer und Uwe Wagschal) weisen übereinstimmend und plausibel eine nur leicht größere Offenheit für direktdemokratische und partizipatorische Beteiligungsformen vor allem bei Mitgliedern linker Parteien und Listen nach.

Neben diesem demokratietheoretischen Aspekt kommt dann noch einem machtpolitischen Kalkül signifikante Bedeutung zu: Mitglieder von (relativen) Mehrheitsfraktionen stehen umfassenderen Beteiligungsformen ablehnender gegenüber, sehen diese offenbar als potentielle Einschränkung der eigenen Spielräume und Macht zur Gestaltung.

Neuerdings kommt der Ruf nach umfangreicheren direktdemokratischen Entscheidungen auch von rechtspopulistischer Seite. Dies geschieht aus dieser politischen Richtung allerdings weniger im Vertrauen auf die Überzeugungskraft eines breiteren öffentlichen Diskurses, der mit plebiszitären Entscheidungen idealerweise verbundener ist. Vielmehr kann man Rechtspopulisten viel eher das Motiv unterstellen, auf diese Weise vor allem die gewählten Repräsentanten und Parteien umgehen und schwächen zu wollen.

Die reservierte Haltung vieler Ratsmitglieder gegenüber einer umfangreicheren Bürgerbeteiligung ist nachvollziehbar und dennoch mittelfristig zu kurzsichtig. Die vielen vorliegenden Erfahrungen mit dialogorientierten Beteiligungsformaten wie Zukunftswerkstätten, Stadtteilforen, Bürgerhaushalten oder auch Planungszellen anstelle der weithin üblichen Infoabende für die Bürgerschaft zur Vorstellung der Verwaltungspläne belegen, dass die frühzeitige Einbeziehung von Bürgern in den Planungsprozess kommunaler Vorhaben bis hin zur Erstellung eines Bebauungsplans die Akzeptanz der späteren Entscheidungen positiv beeinflussen. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf der Sammlung von Ideen, der Einbeziehung vielfältiger Gesichtspunkte und der Eröffnung eines dialogischen Prozesses zur Entscheidungsvorbereitung.

Wichtige Erfolgsbedingungen sind der möglichst frühzeitige Startpunkt der Beteiligung, eine professionelle Moderation des Prozesses, offene Kommunikationsstrukturen mit vollständigem Informationszugang für alle Beteiligten, die Offenheit der Verwaltung bei gleichzeitiger fachlicher Beratung sowie eine durch breite Repräsentanz gekennzeichnete Zusammensetzung der Teilnehmenden. Bewährt haben sich hierbei insbesondere Gremien mit sogenannten „Zufallsbürgern“. Und klar muss allen Beteiligten von Anfang an sein, ob dem Beteiligungsprozess ein beratender oder aber entscheidender Charakter zukommen soll.

Es liegt auf der Hand, dass diese Formen der Beteiligung gerade auch für die Verwaltungsspitze und die Gemeinderäte zeitintensiv sind. Sie zwingen alle Beteiligten zur Formulierung und öffentlichen Abwägung von nachvollziehbaren Argumenten und ermöglichen so die größtmögliche Transparenz bei der Entscheidungsfindung. Zentral ist hierbei eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit und kompetente Moderation des öffentlichen Dialogs. Die Erfolgschancen des gesamten Beteiligungsprozesses sind umso größer, je sachorientierter die Diskussionen verlaufen und je weniger lokale Klientelpolitik oder parteipolitisch-ideologische Vorfestlegungen eine Rolle spielen.

Lösungen im Konsens

Plebiszite stehen demgegenüber weit eher in der Gefahr, gesellschaftliche Gräben aufzureißen oder zu verfestigen, insbesondere bei polarisierten, intensiven Auseinandersetzungen. Partizipatorische Beteiligung hingegen birgt bei geringerer ideologischer Zuspitzung des Themas weitaus mehr Chancen auf konsensgetragene, weithin akzeptierbare Lösungen.

Die Diskussion um Amtszeitbegrenzungen ist vor allem ein Merkmal präsidentieller Systeme. Wo die Spitze eines Gemeinwesens direkt gewählt wird – etwa Präsident oder auch Bürgermeister – passen Amtszeitbegrenzungen in die Legitimationslogik. Dies gilt insbesondere dann, wenn Bürgermeister wie in Baden-Württemberg eine achtjährige Amtszeit haben. Eine Begrenzung auf 16 Jahre maximaler Amtszeit fördert sicherlich den Wechsel in der Kommunalpolitik und verhindert politischen Stillstand – vorausgesetzt, es finden sich jeweils kompetente und engagierte Nachfolger. Eine Begrenzung auf zwei Legislaturperioden bei nur vierjähriger Amtszeit hingegen verringert die Chancen auf eine längerfristige Politikkonzeption.

Insgesamt hat die Diskussion um Amtszeitbegrenzungen weitaus weniger Potenzial, die Aufgeschlossenheit der politischen Entscheidungsträger gegenüber den Bürgerinteressen in den Kommunen zu erhöhen. Erfolgversprechender ist es, die Amtsträger zur Initiierung und Durchführung von umfangreichen Beteiligungsprozessen zu ermutigen und auch fachlichen Rat bereitzustellen.

Ulrich Eith

Der Autor
Prof. Dr. Ulrich Eith ist Professor für Wissenschaftliche Politik an der Universität Freiburg und Institutsdirektor des Studienhauses Wiesneck, Buchenbach