Brückenbau: Vom Labor auf die Straße

Fortschritt im Brückenbau: Ein in Mönchengladbach erstmals erprobtes Bauverfahren soll die Dauerhaftigkeit und Lebensdauer von Stahlbetonbrücken erhöhen. Eine multifunktionale Karbonbetonschicht im Straßenbelag kann eindringende Feuchtigkeit erkennen und gefährliche Korrosion verhindern.

Unterläufige Abdichtungen, beschädigte Fugen und Übergangsprofile gefährden aufgrund des Eintritts von Chloriden in den Beton die Dauerhaftigkeit von Straßenbrücken aus Stahlbeton. Korrosionsschäden der Bewehrung werden an der Brückenoberseite meist erst dann sichtbar, wenn bereits ein erhebliches Schadensausmaß vorliegt. Des Weiteren sind wegen des gestiegenen Verkehrsaufkommens bei einigen Bestandsbrücken Defizite hinsichtlich ihrer Querkraft- und Biegetragfähigkeit in Querrichtung zu verzeichnen.

Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Projekt „Smart-Deck – Intelligenter, multifunktionaler Brückenbelag aus Textilbeton“ zielt darauf ab, die Dauerhaftigkeit und Lebensdauer von Brücken zu erhöhen. Das Projekt wurde in Kooperation mehrerer Bauunternehmen, Forschungsinstitutionen und der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) entwickelt.

Das System kombiniert verschiedene Funktionen. Das Echtzeit-Monitoring erkennt das Eindringen von Feuchtigkeit in die Fahrbahnplatten der Brücken. Der vollflächige kathodische Korrosionsschutz (pKKS) beugt der sogenannten Depassivierung der Stahlbewehrung durch die mit der Feuchtigkeit eingetragenen Chloride vor. Darüber hinaus können Fahrbahnplatten in Querrichtung verstärkt und somit die Tragfähigkeit der Brücken erhöht werden. Das System ist modular aufgebaut, sodass die einzelnen Funktionen nach Bedarf ausgewählt und bei Instandsetzungs- sowie Neubaumaßnahmen eingesetzt werden können.

Smart-Deck besteht aus einer 35 Millimeter starken Schicht aus feuchtesensitivem Mörtel (Polymer Cement Concrete mit einem Größtkorn von 4 mm), der durch zwei mittels Abstandshalter fixierte, epoxidharzgetränkte Karbontextilien bewehrt ist. Mit dieser unterhalb der Abdichtung angeordneten Schicht werden sowohl die Verstärkung des Bauwerks in Querrichtung als auch das Monitoring und der Korrosionsschutz realisiert.

Im Vergleich zu herkömmlichen Verstärkungen in Querrichtung, zum Beispiel mit eingeschlitzten Bewehrungsstäben, ist die Smart-Deck-Ausführung minimalinvasiv. Die bis zu 20 Quadratmeter großen Felder der textilen Bewehrung repräsentieren jeweils einen Sensor, der über ein BUS-System in messtechnischer Hinsicht getrennt gemessen und angesteuert wird. Anhand geeigneter Kalibrierkurven wird über die Messung des elektrischen Widerstands zwischen den beiden Karbontextillagen der Widerstandswert des Mörtels ermittelt.

Überwachung in Echtzeit

Ein Widerstandsabfall deutet auf eine Undichtigkeit in der Abdichtung hin, da geringe Widerstände mit einem hohen Wassersättigungsgehalt des Mörtels einhergehen. Der Betreiber des Bauwerks kann den elektrischen Widerstand in Echtzeit überwachen und Rückschlüsse auf den Zustand des Abdichtungssystems ziehen. Wenn im Schadensfall eine Instandsetzung der Brücke zeitnah nicht möglich ist, können erforderliche Maßnahmen mit der Aktivierung des Korrosionsschutzes in günstigere Perioden verschoben werden. Dabei wird zwischen der textilen Karbonbewehrung und der Stahlbewehrung ein elektrisches Feld aufgebaut, das die Bewehrung polarisiert und kathodisch schützt und demzufolge eine Depassivierung (Korrosion) der Stahlbewehrung verhindert.

Die Verifikation der Forschungserkenntnisse wurde im Rahmen eines sogenannten Großdemonstrators bei einem Brückenneubau der Stadt Mönchengladbach realisiert. Das Bauwerk wurde von einer Arbeitsgemeinschaft errichtet, die nicht an dem Forschungsverbund beteiligt war. Aufgrund der Verkehrsführung vor Ort war der Demonstrator in zwei Bauabschnitten auszuführen.

Die Brückenkonstruktion wurde sowohl als Ortbetonbauwerk (Widerlager) als auch in Halbfertigteilbauweise (Überbau) hergestellt. Die Fertigteile des Überbaus wurden mit einem Aufbeton verbunden. Um die Herstellung ohne Anpassung der Gradiente oder der Konstruktion des Brückenbauwerks zu ermöglichen, wurden 35 Millimeter der ursprünglich vorgesehenen Aufbetonschicht durch Smart-Deck ersetzt. Die ursprüngliche Bewehrungsführung im Aufbeton musste nicht angepasst werden, da das System auf die Betondeckung angerechnet werden kann.

Die Herstellung des Großdemonstrators hat gezeigt, dass Smart-Deck auch unter realen Baustellenbedingungen mit mehreren Bauabschnitten wirtschaftlich realisierbar ist und der Herstellprozess auch in einen bestehenden Bauablauf integriert werden kann. Ferner waren keine konstruktiven Anpassungen bei dem Bauwerk notwendig, um Smart-Deck ausführen zu können. Das Monitoring wird über die kommenden Jahre vom Institut für Bauforschung der RWTH Aachen (Ibac) betrieben, um eine umfangreiche Datenbasis für weitere Anwendungen vorliegen zu haben.

Sarah Dabringhaus / Roger Bill / Till Büttner

Die Autoren
Sarah Dabringhaus ist wissenschaftliche Mitarbeiterin (Referat Betonbau, Abt. Brücken- und Ingenieurbauwerke) der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) in Bergisch Gladbach, Roger Bill ist Niederlassungsleiter Bauwerksinstandsetzung der Eurovia Beton in Hofheim-Wallau, Till Büttner ist zuständig für die Bereiche „Geschäftsfeldentwickung und F&E“ beim Bauunternehmen Massenberg in Essen