Biodiversität: Das Biotop on top

Begrünte Fassaden und Dächer bieten Lebensraum für Pflanzen und Tiere mitten in der Stadt. Der Pflege- und Kostenaufwand hängt von der jeweiligen Nutzungsform und Pflanzenauswahl ab.

Täglich wird in Deutschland die Fläche von etwa 60 Hektar Natur versiegelt. Die Hälfte dieser Flächen verschwindet langfristig aus dem natürlichen Wasserkreislauf. Neben dem Flächenverbrauch durch Städtewachstum zwingen uns Klimawandel (Urban Heat Island Effect und Extrem-Regenereignisse), Artenschwund (Insektensterben) und auch Bevölkerungsentwicklung zum Umdenken und Handeln.

Immer mehr Menschen drängen in die Städte. Die Forderungen nach Wohnraum werden lauter, doch woher nehmen? Weitere Naturflächen überbauen? Nachverdichten? Doch wo bleiben die lebenswichtigen Grünflächen?

Gefragt sind Lösungen, die dennoch ausreichend Grünflächen für Mensch und Tier schaffen. Hierfür bieten sich aufgrund der beschränkten Platzverhältnisse in der Stadt vorrangig Dach- und Fassadenbegrünungen an.

Dachbegrünungen können aufgrund ihrer vielen Möglichkeiten (von Leichtdach- bis zu Tiefgaragenbegrünung) grundsätzlich überall eingesetzt werden. Sie verbinden Dach- als auch bodenständige Stadtbiotope. Wichtig ist die flächendeckende Begrünung möglichst vieler Dächer, die auch Tiefgaragen einschließen. Dachbegrünungen werden in der Regel als Minderungsmaßnahme bei der Eingriffsausgleichsregelung anerkannt.

Mit einfachen, kostengünstigen Mitteln lässt sich ökologisch hochwertige extensive Dachbegrünung, sogenannte Biodiversitätsgründächer, herstellen:

  • Ergänzend zum Basis-Gründachaufbau mit zehn Zentimeter Gesamthöhe kann das Dachsubstrat in Teilbereichen um fünf bis 25 Zentimeter erhöht werden. Mit diesen partiellen Anhügelungen wird höheren Stauden und trockenheitsverträglichen Gehölzen das Überleben ermöglicht. Zugleich finden frost- und trockenheitsempfindliche Bodentierarten Rückzugsmöglichkeiten.

  • Wurzelstöcke und Totholz als Gestaltungselemente und Nisthilfen.

  • Pflanzenverwendung nach einheimischen Artenlisten, beispielsweise nach Blütenfarbe und Blühzeitraum, um Angebot und Blühzeitraum zu verlängern.

  • Kies-, Splitt- und Sandbereiche in verschiedenen Formen und Korngrößen.

  • Temporäre Wasserflächen als Blickfang und Insektentränke. Dauerhafte Teiche dienen vielen Vögeln als Tränke und tragen zu einer größeren Artenvielfalt auf dem Dach bei.

Dachbegrünung

Begrünbar sind Flachdächer und Schrägdächer. Es wird unterschieden zwischen Extensiv- und Intensivbegrünungen. Die extensiven Gründächer zeichnen sich durch eine geringe Aufbauhöhe (ca. 8 bis 15 cm), geringes Gewicht (ca. 80 bis 170 kg/m²) und eine trockenheitsverträgliche und pflegeleichte Vegetation aus. Extensivbegrünungen werden nur zur Pflege ein- bis zweimal im Jahr begangen.

Dagegen sind Intensivbegrünungen erweiterte Wohnräume (Dachgärten), auf denen ähnliche Pflanzen wachsen wie im ebenerdigen Garten. Dementsprechend ist der Gründachaufbau höher (ab ca. 25 cm) und schwerer (ab ca. 300 kg/m²). Die Pflege gestaltet sich wie sonst im Garten je nach Pflanzenauswahl mehr oder weniger aufwendig.

Intensiv begrünte Dächer gibt es in der Regel nur auf Flachdächern. Extensivbegrünungen können auf Flach- und Schrägdächern bis zu einer Dachneigung von etwa 40 Grad gebaut werden. Jedoch sind ab 15 Grad Dachneigung besondere Maßnahmen zur Rutschsicherung notwendig, damit das Gründach bei Starkregen nicht ins Rutschen kommt.

Kostenrichtwerte: Extensivbegrünungen gibt es je nach Schichtaufbau und Flächengröße ab etwa 25 bis 30 Euro pro Quadratmeter, begehbare Dachgärten liegen je nach Aufbauhöhe und Ausstattung bei etwa 60 bis 150 Euro/m². Bei der Pflege sind pro Jahr und Quadratmeter etwa ein bis drei Euro bei extensiven und drei bis acht Euro bei intensiven Dachbegrünungen einzuplanen.

Fassadenbegrünung

Haben begrünte Dächer ihre Wirkung vor allem bei der Nutzung als Lebensräume für Fauna und Flora und als Retentionsräume (Wasserrückhalt), so spielen bei Fassadenbegrünungen andere Aspekte eine große Rolle: sichtbares und greifbares lebendiges Grün, Feinstaubbindung und Luft- und Kleinklimaverbesserung. Fassadenbegrünungen sind auf „Augenhöhe“, haben für alle einen großen Wohlfühlfaktor und werten das einzelne Gebäude wie auch das komplette Wohnquartier auf. Sie haben einen großen Stellenwert im Wirken gegen die Städteüberhitzung.

Fassadenbegrünungen lassen sich vereinfacht in die zwei Hauptkategorien bodengebundene und wandgebundene Begrünungen einteilen.

Die traditionellen bodengebundenen Begrünungen erfolgen an einer fertigen Außenwand je nach Klettermodus mit oder ohne Kletterhilfe. Die Pflanzen sind „Kletterpflanzen“ und haben eine direkte

Verbindung zum gewachsenen Boden. Die „Kletterpflanzen“ sind Selbstklimmer oder benötigen geeignete dauerhafte Kletterhilfen. Die Wasser- und Nährstoffversorgung findet in der Regel über natürliche Einträge statt.

Wandgebundene Begrünungssysteme bilden in der Regel die Fassade der Außenwand und ersetzen hier andere Materialien wie Glas, Faserzement und Metalle. Sie benötigen keinen Bodenanschluss und eignen sich daher besonders für innerstädtische Bereiche. Sie zeichnen sich durch sofortige Wirksamkeit, große Gestaltungsspielräume („vertikale Gärten“) sowie ein großes Spektrum verwendbarer Pflanzen aus. Die Versorgung mit Wasser und Nährstoffen erfolgt über eine automatische Anlage.

Kostenrichtwerte: Bodengebundene Fassadenbegrünungen mit Kletterhilfen liegen bei 150 bis 300 Euro/m², die wandgebundenen Begrünungen liegen je nach Flächengröße bei etwa 500 bis 1000 Euro/m². Bei den jährlichen Pflegekosten sind 15 bis 30 Euro/m² anzunehmen.

Gunter Mann

Der Autor
Dr. Gunter Mann ist Präsident des Bundesverbands Gebäudegrün (BUGG) in Berlin und Mitglied der Regelwerksausschüsse „Dachbegrünung“ und „Fassadenbegrünung“ der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau (FLL)

Info: Weltkongress Gebäudegrün

Gebäudebegrünungen vereinen viele positive Wirkungen, sind wichtiger Bestandteil des nachhaltigen Bauens und der Anpassungsstrategie gegen den Klimawandel. Dach- und Fassadenbegrünungen spielen als Lebensraum für Fauna und Flora eine wichtige Rolle und lassen sich bei vorausschauender Planung ohne größeren Mehraufwand umsetzen. Beim Weltkongress Gebäudegrün (World Congress of Building Greening) vom 16. bis 18. Juni 2020 in Berlin werden verschiedene Themen rund um die Gebäudebegrünung vorgetragen und bei Podiumsdiskussionen näher beleuchtet. Dass das Thema „Gebäudebegrünung“ ankommt, hat der Kongress 2017 mit über 800 Teilnehmern verdeutlicht.