Bertold Best: „Qualität entsteht im Straßenbau schon in der Planung“

Der Einsatz moderner Managementmethoden ist die Grundlage für eine systematische Straßenerhaltung. Berthold Best, Professor für Verkehrswegebau an der TH Nürnberg, erläutert im Interview den Gebrauch von Kenn­zahlen in der Finanzplanung und zeigt auf, wo die Kommunen ansetzen sollten.

Herr Prof. Best, marode Straßen und Brücken in den Kommunen sind schon lange ein Thema. Was läuft schief, warum bekommt der Staat die Verkehrsinfrastruktur nicht in Schuss?

Best: Über viele Jahre verfügten die Kommunen mangels Einnahmen nicht über die finanziellen Mittel, eine systematische Straßenerhaltung durchzuführen. Mit dem massiv gestiegenen Steueraufkommen und der damit verbesserten Einnahmesituation können die Kommunen nunmehr wieder mehr Geld in die Erhaltung der Infrastruktur investieren. Nur: Der Nachholbedarf ist jetzt natürlich sehr groß, weil jahrelang ein Werteverzehr stattfand. Außerdem können die Kommunen jetzt das dringend notwendige Personal für die Planung und Durchführung der Maßnahmen nicht mehr gewinnen, weil der Arbeitsmarkt auf dem Bausektor leer gefegt ist und die Kommunen die erforderlichen finanziellen Anreize nicht in dem Maße bieten können wie dies die freie Wirtschaft tut.

Sehen Sie weitere Gründe?

Best: Teilweise ist auch das Zuwendungssystem falsch. Wenn nur Neuinvestitionen bezuschusst werden, haben Kommunen wenig Motivation, in die Infrastrukturerhaltung zu investieren. Dasselbe gilt für das leidige Thema der Straßenausbaubeiträge. Diese lassen keine Umlage der Erhaltungsinvestitionen auf die Anlieger zu, sondern nur eine Umlage der Baukosten bei einer Verbesserung oder Neuherstellung der Verkehrsanlage. Da liegt schon mal der Verdacht nahe, dass eine Kommune eine Straße so lange kaputt gehen lässt, bis sie erneuert werden muss und die Anlieger die Kosten mittragen müssen.

Was macht die Straßen in den Kommunen eigentlich kaputt? Ist es der zunehmende Verkehr? Sind es andere Winter als früher mit häufigem Frost-Tau-Wechsel?

Best: Vielfach sind die Straßen und Brücken einfach am Ende ihrer technischen Nutzungsdauer. Wir dimensionieren Straßen für 30 Jahre, halten müssen sie in Kommunen 50, 60 Jahre. Das bedeutet, alle Straßen, die in den Wiederaufbaujahren nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind, stehen spätestens jetzt zur Erneuerung an. Brücken, vor allem aus den 60er- bis 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, haben einfach nicht die Bauqualität und Dauerhaftigkeit, die man seinerzeit unterstellt hat. Auch diese müssen jetzt erneuert werden. Kommunale Straßen werden auch zusätzlich durch die zahlreichen Aufgrabungen in ihrer technischen Nutzungsdauer stark eingeschränkt. Flickstellen sind häufig Ausgangspunkt für Schäden, mangelhafte Verdichtung von Leitungsgräben führen zu Absackungen und später ebenfalls zu Schäden an der Straßendecke. Wenn erst einmal Wasser in den Straßenoberbau eindringen kann, dauert es bis zur kompletten Zerstörung nicht mehr lange.

Ganz konkret: Wo müssen Städte, Gemeinden und Kreise ansetzen, um ihre Straßeninfrastruktur instandzusetzen und sie dann auch in gutem Zustand zu halten?

Best: Wesentlich ist eine systematische Straßenerhaltung. Eine Zustandserfassung und -bewertung sollte für Städte heute Standard sein. Darauf aufbauend kann mit modernen Managementmethoden ein zielgerichteter Einsatz der finanziellen Mittel dort erfolgen, wo die Wirksamkeit am Größten ist – das ist nicht immer die Straße, die am kaputtesten ist. Die Finanzmittel für die Infrastrukturerhaltung müssen verstetigt werden. Auch bei nachlassender Konjunktur und damit verbundenen sinkenden Steuereinnahmen darf keine Reduzierung der Finanzmittel erfolgen. Sonst leben wir von der Substanz und auf Kosten unserer Kinder und Kindeskinder.

Braucht es in der Politik einen neuen Blick auf das „Volksvermögen Verkehrsinfrastruktur“?

Best: Weg von Neubauinvestitionen hin zu einer nachhaltigen Straßenerhaltung ist sicher der richtige Weg, der leider noch nicht bei allen Kommunen eingeschlagen wird. Das Straßennetz in Deutschland ist im Wesentlichen komplett. Deshalb müssen jetzt alle Kräfte zusammen wirken, dieses Netz auch funktionsfähig zu erhalten.

Mit welchen Kosten rechnen Sie für die Instandsetzung der Straßen?

Best: Mit dem gerade von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen herausgegebenen „Merkblatt über den Finanzbedarf der Straßenerhaltung in den Kommunen lässt sich über eine einfache Kennzahl der Finanzbedarf errechnen. Jährlich muss eine Kommune 1,30 Euro pro Quadratmeter für die Gesamtstraßenfläche aufwenden, also Fahrbahn, Geh- und Radwege und sonstige Nebenflächen. Mit dieser Kennzahl kann jeder Straßenbaulastträger jetzt überschlagen, wie viel Geld für die Straßenerhaltung pro Jahr zur Verfügung stehen muss – natürlich ohne einen Nachholbedarf damit abbauen zu können! Der muss noch dazu addiert werden.

Wie lange dürfte es dauern, bis unser Straßennetz wieder auf einen akzeptablen Zustand gebracht ist?

Best: Wenn wir es schaffen, das derzeitige Niveau der Investitionen in Straßen und Brücken zu halten, werden wir wahrscheinlich in zehn Jahren wieder über ein akzeptables Netz verfügen.

Neu gebaute Straßen zeigen häufig schon nach ein, zwei Jahren Schäden. Sanierungen halten meist nur kurze Zeit. Wird in Deutschland schlecht gebaut und falsch saniert?

Best: Ein erster Ansatzpunkt ist natürlich das Personal. Nicht nur die öffentliche Verwaltung, auch Ingenieurbüros und Baufirmen brauchen qualifiziertes Personal. Nach jahrelangem Personalabbau ist der Nachholbedarf auch hier gewaltig. Nur: Bauberufe gelten per se als unattraktiv, und zwar in jeder Hierarchieebene. Personal bekommt im Moment nur derjenige ab, der finanziell die attraktivsten Angebote macht. Da gehört leider die Verwaltung nicht dazu. Qualität entsteht schon in der Planung, setzt sich dann fort über den Einkauf und die Überwachung der Bauleistung und wird durch qualifiziertes, motiviertes gewerbliches Personal auf der Baustelle sichergestellt. Entsprechend geeignete und überwachte Baustoffe tun ein Übriges dazu. Wir müssen davon wegkommen, „Briefmarken“ zu bauen. Entsprechend große Baulose, die einen ununterbrochenen maschinellen Einbau von Asphalt zulassen, sind qualitativ hochwertiger herzustellen als viele aneinandergereihte Einzelflächen. Hier muss man mal den Mut haben, eine Vollsperrung durchzusetzen, das hebt die Qualität und verkürzt die Bauzeit.

Gibt es Länder, die Straßenbau- und instandhaltung besonders gut „können“?

Best: Bei kommunalen Straßen gibt es mit Blick in andere Länder keine großen Unterschiede. Die Probleme mit Aufgrabungen, kleinen Baulosen und Aufrechterhaltung des Verkehrs um jeden Preis sind überall gleich. Im Außerortsbereich wird dort häufig über Privatfinanzierung und -betrieb wesentlich anders agiert, aber das kommt ja jetzt in Deutschland mit der Autobahn-GmbH des Bundes auch.

„Self Repairing Citys“ lautet ein neues Schlagwort, Drohnen sollen künftig Straßenreparaturen ausführen. Was ist von solchen Entwicklungen zu halten?

Best: Nicht alles, was technisch möglich ist, ist auch sinnvoll. Mit einer Drohne ein Schlagloch zu flicken, ist sicher reizvoll, nur: Hier geht es nur um die akute Wiederherstellung der Verkehrssicherheit. Das hat nichts mit systematischer Straßenerhaltung zu tun und kann genau so gut von einem Bautrupp gemacht werden. Wir setzen heute auch im konventionellen Straßenbau moderne Methoden ein wie zum Beispiel lückenlose Temperaturüberwachung beim Asphalteinbau oder flächendeckende dynamische Verdichtungskontrollen im Erdbau.

Wie innovationsbereit sind die öffentlichen Straßenbaulastträger? Sehen Sie dort ein Interesse, bei Ausschreibungen für Straßen und Brücken innovative Bau-, Instandhaltungs- und Ertüchtigungsmethoden zuzulassen?

Best: Auf kommunaler Ebene ist das Innovationspotenzial noch steigerungsfähig. Hier wird überwiegend ganz konventionelle Straßenerhaltung mit Planung, Ausschreibung und Vergabe praktiziert. Zum Einsatz kommen auch überwiegend althergebrachte Bauweisen. Der Einsatz von neu entwickelten Bauweisen wie Whitetopping oder der Einsatz von Betonfertigteilen als Fahrbahnplatten zum Beispiel für Busbuchten wird viel zu wenig praktiziert. Ich vermisse den Mut, auch neuzeitliche Vertragsformen wie Funktionsbauverträge einzusetzen oder aber allein über Bonus-Malus-Regelungen Bauzeiten zu verkürzen und damit den städtischen Verkehr im Fluss und nicht im Stau zu halten.

Interview: Wolfram Markus

Zur Person: Berthold Best ist seit 2012 Professor für Verkehrswegebau an der Fakultät Bauingenieurwesen der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm. Stationen seiner beruflichen Laufbahn waren das Tiefbauamt der Stadt Ludwigshafen/Rhein (Team- und Projektleiter) und zuvor das Straßenbauamt in Cochem/Mosel (Abteilungsleiter)